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Hämatopoese Der komplexe Prozess der Blutbildung

Der komplexe Bildungsprozess des menschlichen Bluts wird Hämatopoese genannt. Jeden Tag produziert der Körper Milliarden neuer Blutzellen, wobei ihre Zahl stets an die aktuellen Anforderungen angepasst wird. Gerät dieses fein regulierte System aus dem Gleichgewicht, kann es zu Problemen wie Blutarmut oder mangelhafter Blutgerinnung kommen.

Von: Susanne Dietrich

Stand: 14.03.2022 |Bildnachweis

Blut | Bild: picture-alliance/dpa

Durch den Körper eines erwachsenen Menschen fließen durchschnittlich fünf bis sechs Liter Blut. Es macht bis zu acht Prozent des Körpergewichts aus und setzt sich aus dem wässrigen Blutplasma und den Blutzellen (rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen) zusammen.

Experte:

Prof. Dr. Martin Trepel, Hämatologe, Internist und Onkologe, Direktor der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Augsburg

Die Blutzellen erfüllen lebenswichtige Aufgaben, allen voran Sauerstofftransport, Immunabwehr und Blutstillung. Da ihre Lebensdauer begrenzt ist, müssen sie fortlaufend erneuert werden. Unter anderem bei körperlichen Anstrengungen, Infekten oder Operationen werden deutlich mehr Blutzellen als gewöhnlich gebildet.

Dem Text liegt ein Interview mit Prof. Dr. Martin Trepel zugrunde, Hämatologe und Direktor der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Augsburg.

Stempel mit der Aufschrift "Großes Blutbild" | Bild: picture-alliance/dpa zu den Meldungen Blutwerte Wenn das Blut ins Labor geht

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Neue Blutzellen werden beim Ungeborenen zunächst in Milz und Leber produziert, nach der Geburt ist das Knochenmark der vorwiegende Ort der Blutbildung. Das blutbildende Knochenmark befindet sich beim Säugling noch in allen Knochen, beim erwachsenen Menschen vor allem in der Wirbelsäule, im Becken, in den Schädelknochen und nur noch gelenknah in den Knochen von Armen und Beinen. Das Knochenmark hat eine schwammartige Struktur, in deren Hohlräumen die Blutzellen heranreifen. Sie verlassen das Knochenmark erst dann, wenn der Blutbildungsprozess abgeschlossen ist. Bis dahin werden sie durch die Blut-Knochenmark-Schranke gehalten. Diese übt ihre Funktion gleichsam wie eine Art Magnet aus, der die "magnetisch aufgeladenen" neu entstandenen Blutzellen im Knochenmark hält, bis sie ausgereift sind.

"Wenn die reifenden Zellen nach vielen Tagen ganz unterschiedliche Vorstufen durchlaufen haben, in denen sie den fertigen Blutzellen in Aussehen und Funktion immer näherkommen, dann löst sich diese Magnetfunktion auf und sie können ins Blut abgeschwemmt werden."

Prof. Dr. Martin Trepel

Basis aller Blutzellen sind die Stammzellen im Knochenmark. Sie werden als multipotent bezeichnet, weil sie die Fähigkeit besitzen, alle Blutzellarten zu bilden. Stammzellen teilen sich asymmetrisch: Bei der Zellteilung entstehen zwei Tochterzellen, die nicht identisch sind. Das heißt: Die eine Tochterzelle behält die multipotenten Fähigkeiten der Stammzelle, die andere beginnt, sich in eine bestimmte Blutzellart zu differenzieren. Aus der zweiten Tochterzelle entwickelt sich dann entweder ein rotes oder weißes Blutkörperchen oder ein Blutplättchen.

"Die Stammzellen sind sozusagen die Urmutter aller Blutzellen, die später entstehen. Man kann es sich ein bisschen wie bei Adam und Eva oder den ersten Homo sapiens vorstellen. Aus ihrem Genpool geht die große Diversität der heutigen Menschheit hervor. Das ist natürlich nur eine Analogie, aber bei den Blutzellen entsteht am Schluss eine große Vielfalt verschiedener Zellen aus nur einer ursprünglichen Zellart."

Prof. Dr. Martin Trepel

Stammzellen auf Reisen

Beim weißen Blutkörperchen beispielsweise dauert es ein bis zwei Wochen, bis aus der geteilten Stammzelle eine reife Blutzelle wird. Während dieses Reifungsprozesses, bleiben die unfertigen Zellen im Knochenmark.

Einzelne Stammzellen verlassen jedoch hin und wieder das Knochenmark, zirkulieren durch das Blut und kehren anschließend wieder zurück.

"Es handelt sich allerdings um sehr wenige Zellen. Sie können sich das wie einen Sonntagsspaziergang bei schönem Wetter vorstellen. Man verlässt sein vertrautes Haus vorübergehend und kehrt nach kurzer Zeit wieder nach Hause zurück. Dahinter vermutet man ein zufälliges Ereignis, bei dem die Blut-Knochenmark-Schranke kurz außer Kraft ist – und schwups ist die Stammzelle im Blut. Aber wenn sie dann durch das Blut wieder am Knochenmark vorbeikommt, klebt sie sich dort sozusagen wieder fest."

Prof. Dr. Martin Trepel