Ende der Welt - Die tägliche Glosse Späte Reue
Mehr als 50 Jahre nach dem Diebstahl eines Bierkrugs aus dem Münchner Hofbräuhaus hat ein US-Amerikaner sein Gewissen beruhigt und 50 Dollar bezahlt. Damit hat er uns ein schlechtes Gewissen gemacht. Eine Glosse von Wolfram Schrag.
In München steht ein Hofbräuhaus. Zumindest im Ausland gilt die Schwemme als Inbegriff der German Gemütlichkeit. Und weil hier tausende täglich Bier trinken und das bekannte Lied gleich mehrfach singen und sich glückselig im weißblauen bayerischen Himmel fühlen, spülen sie dem Freistaat Bayern und seinem staatlichen Hofbräuhaus etliche Millionen Euro jährlich in die Kassen. Und dann sind da in diesem Jahr noch die 50 US-Dollar.
Wie das? Im Jahr 1972 trug sich ebenda eine Straftat zu. Damals entwendete ein wahrscheinlich angetrunkener US-Amerikaner einen bläulichen Steinkrug, wie der 74jährige heute schreibt. Den hat er immer noch. Und wenn er ihn sieht, muss er daran denken, dass er ihn eigentlich bezahlen müsste. Also schickte er jetzt einen Brief mit jenem 50 Dollar-Schein nach München und der Bitte, „vergebt mir meinen Fehltritt. Ein törichter College-Student.“ Wir sind ganz ergriffen von so viel Reue. Man könnte fast meinen, da will einer auf seine alten Tage aufräumen, und zwar im eigentlichen wie im übertragenen Sinn.
Schauen wir doch einfach mal in unsere Schränke und auf den Dachboden oder in den Keller. Auch wir haben einen Maßkrug und der kam nicht auf natürlichem Weg ins Regal. Er war plötzlich da, am Ende einer durchzechten Nacht. Ewig verstaubt, wurde er nie mehr benutzt. Und da der Pint aus dem englischen Pub, wirklich formschön, das Lagerbier schmeckte köstlich. Also hier sollte man vielleicht mal die Adresse ausfindig machen. Aber wir haben ja noch Zeit. Die formschöne griechische Espressotasse ist auch ein, wir nennen es mal Fundstück.
Der Mensch und seine Dinge
Doch nun kommt das schlechte Gewissen mit Wucht: Vielleicht waren es wir ja, weshalb das Café auf Paros während der Finanzkrise schließen musste. Die ganzen schönen Tassen, abgeschleppt von raffgierigen Deutschen. Und dann schlau reden, wie man den Staatshaushalt in den Griff bekommt. Suchen wir das Café und üben tätige Reue.
Der Mensch und seine Dinge: Der Aschenbecher aus Frankreich, man raucht seit Jahren nicht mehr, ganz zu schweigen von diesem super-flauschigen Badetuch aus einem besseren Hotel. Da haben sich etliche Altlasten angesammelt und ein riesiger Berg schlechten Gewissens dazu. Gerade wenn wir an den Amerikaner in Wyoming mit seinem Bierkrug denken. Schickt einfach 50 Dollar 52 Jahre nach der Tat, erleichtert sein Gewissen, ein Täter-Opfer-Ausgleich vom Feinsten und wir, wir schauen blöd.
Vielleicht ist das ganze ja auch nur ein riesiges Tauschgeschäft. Der Amerikaner nimmt den Bierkrug, der Deutsche die griechische Tasse, Griechen finden ein irisches Whisky-Glas, Franzosen marokkanische Teegläser und so weiter und so fort. Am Ende kommt alles auf Flohmärkte und in ein paar Jahrhunderten finden Archäologen Reste und sagen: Das scheint ein reiselustiger Menschenschlag gewesen zu sein. Ja, da mögen sie wohl recht haben.