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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Über die Vorfreude

Ich kann nur sagen: Achtung vor dem „vor“! Gerade dann, wenn es sich mit der „Freude“ paart. Trägt dann den Doppelnamen Vor-Freude und ist wahrhaft ein Ausnahmezustand. Eine Glosse von Johannes Marchl.

Von: Johannes Marchl

Stand: 02.08.2024

Im Deutschen gibt es so Wörter, die kommen so unscheinbar und unschuldig-nichtssagend daher, nur um dann umso hinterfotziger den Tiefschlag anzusetzen. Nehmen wir mal das Wörtchen „mit“. Erstmal nicht viel dran. Drei Buchstaben halt und sonst auch nicht die Welt. Außer man paart das mit mit was anderem. Zum Beispiel mit dem Wort „gefangen“. Dann heißt es plötzlich: „mitgefangen, mitgehangen…“ – nicht schön… Oder Mittäter. Mitläufer. Oder politisch: Mit-Koalitionär – aber die haben ja jetzt Sommerpause. 

Womit wir bei einem anderen Wörtchen sind, das gerade im Hinblick auf Sommer gleich ganz oben ist in der Skala der hinterhältigen Präpositionen. Ich kann nur sagen: Achtung vor dem „vor“! Gerade dann, wenn es sich mit der „Freude“ paart. Trägt dann den Doppelnamen Vor-Freude und ist wahrhaft ein Ausnahmezustand. Klar: da ist auf der einen Seite die Freude.

Und auf was wir uns gerade schon wieder alles freuen sollen: Nur noch sieben Wochen und einen Tag bis zum Anstich auf der Wiesn – ich sehe die Wiesn-Wirte mit vor Vorfreude glänzenden Augen vor meinem geistigen… Oder 20 Wochen noch bis Weihnachten – bekommen wir wieder einen Kalender mit 24 Teil-Vorfreuden, bis der Heilige Abend und der brennende Baum flugs die Vorfreude wandelt in harte Realität. Und genau mit der hat auch meine ganz persönliche, aktuelle Vorfreude zu tun.

Wir fahren wieder nach Italien, wie immer… Und ich freue mich schon vor - wenn ich da nicht wüsste, dass noch etwas kommt, vorher. Denn vor dem Paradies hat der liebe Gott das Leben auf der Erde gesetzt, mit all seiner Mühe und Pein, den Schmerzen und dem Leid.

Vorfreude ist eine Kunst, sagt der alte Herrmann Hesse

Und vor dem Sommerurlaub in Italien das Anprobieren der Badehose – vor dem Spiegel! Ein Anblick, den man seinen Liebsten am liebsten ersparen würde. Vorenthalten, dass vor Augen führen. Aber das ist es nicht allein, was die Vorfreude trübt: Welche Bücher soll ich mitnehmen? Und wenn ich mich für die falschen entscheide? Zur Badehose im Spiegel kommt statt einem seligen Lächeln ein gequältes.

Und wenn der Urlaub mit seiner komischen Realität nicht mithalten kann, mit meiner emotional aufgeladenen Vorfreude auf Endorphin-Basis?! Was wenn Mücken und Bremsen uns nach Blut lechzend aufspießen? Die Lieblingspizzeria im Sommerurlaub ist? Die Blaukrabben alle Vongole auffressen, die Algenplage um sich greift, Eintritt nicht nur in Venedig fällig wird?

Vorfreude ist eine Kunst, sagt der alte Herrmann Hesse: nämlich sich auf etwas zu freuen, von dem man noch gar nicht weiß, wie es sein wird. Eben…


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