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Bayern genießen Garen und Gären - Bayern genießen im September

Obwohl das Garen und das Gären und das Begehren ursprünglich gar nix miteinander zu tun haben, wollen wir heut einmal gern garen und gären in einen Topf schmeißen, umrühren und schaun, was Begehrenswertes dabei herauskommt.

Von: Gerald Huber

Stand: 02.09.2022 | Archiv

Bayern genießen: Garen und Gären - Bayern genießen im September

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Garen und Gären"

Oberbayern: Frisch vergoren. Gärungsessig vom oberbayerischen Bienenhof. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Ausgegoren. Most aus Niederbayern. Von Birgit Fürst
Oberpfalz: Untergärig. Wie die Oberpfälzer das moderne Bier erfanden. Von Uli Scherr
Oberfranken: Gegart. Butterzarte Ochsenschipf aus Oberfranken. Von Anja Bischof
Mittelfranken: Doppelt vergoren. Essigsirup - uralte Tradition und angesagte Mode aus Mittelfranken. Von Marion Christgau
Unterfranken: Gar gegoren. Fleisch aus dem Lagerfeuer - das Lakefleisch. Von Jochen Wobser
Schwaben: Unausgegoren. Besoffene Viecher. Von Doris Bimmer

Ausgegoren. Most aus Niederbayern

Apfel und Most

Obwohl die alkoholische Gärung mithilfe von Hefen, respektive Germ erst im Lauf des 19. Jahrhunderts so richtig entdeckt wurde und noch immer nicht ganz erforscht ist - genutzt haben sie schon die Jäger und Sammler vor Jahrtausenden. Die haben den Vorgang für etwas Göttliches gehalten. Der Name des griechischen Alkoholgottes Dionysos zum Beispiel bedeutet wörtlich übersetzt nichts anderes als Gottessohn. Wir wissen heute, dass es sich bei diesem göttlichen Wirken um die Arbeit von Hefen handelt, einer Form von Pilzen, die den Zucker in gärenden Früchten allmählich in Alkohol umwandeln. Wie gesagt, die Steinzeitjäger haben sehr früh schon Früchte gesammelt und mehr oder weniger bewusst gären lassen. Je zuckerhaltiger sie waren, desto beliebter. Die Weintrauben heißen bekanntlich so, weil sie durch ihren hohen Zuckergehalt prädestiniert für die Herstellung von relativ hochprozentigem Alkohol sind. Doch Weintrauben gedeihen halt nicht in allen Klimata, weswegen auch anderes Obst vergoren wurde. Besonders beliebt vermutlich schon von Anfang an: Äpfel und Birnen. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot etwa berichtet im 5. Jahrhundert vor Christus, dass man in der Stadt Side bei Antalya im Süden der Türkei, Granatäpfel angebaut habe, um daraus Wein zu machen. Side bedeutet tatsächlich auch Granatapfel. Bis heute heißen Apfelweine in Frankreich, Großbritannien oder Spanien Cidre, Cider oder Sidra. Es gibt auch die westdeutsche Bezeichnung Zider, in Bayern aber nennt man den Apfelwein, oder Äpplwoi im Gegensatz zum Wein aus Traubenmost kurz Most. Auch das ein antikes Erbwort von den Römern: lateinisch mustus heißt jung und Apfel- oder Birnenmost wird ja relativ jung getrunken. Niederbayern zum Beispiel war nach dem klimatisch bedingten Ende des dortigen Weinbaus ein klassisches Mostland. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hat's dort regelrechte Mostschänken gegeben. In Freyung im Bayerischen Wald gibt's eine der wenigen, die übrig geblieben sind.

Untergärig. Wie die Oberpfälzer das moderne Bier erfanden

Schon in der Steinzeit hatte die Alkoholherstellung einen Haken: Reife Früchte stehen halt nicht ganzjährig zur Weinherstellung zur Verfügung. Und Mittel und Wege frischvergorenen Most haltbar zu machen, gabs noch nicht. Andererseits ist grad im Winter, wenn die Welt grau wird und ungemütlich, ein Schwips manchmal sehr willkommen. So ist man schon in der Mittelsteinzeit draufgekommen, dass man auch Gräser vergären kann. Allen voran die Gerste. Daraus wird auch eine Art Wein. Die alten Griechen nannten es bryton. In dem Wort steckt die uralte lautmalerische Wortwurzel br, die alles bezeichnet, was brutzelt und brodelt: Das Brauen zu Beispiel und natürlich auch unser Wort Bier. Schließlich brodelts ja auch bei der alkoholischen Gärung. Dabei steigt die Hefe zum Schluss an die Oberseite des Kessels und muss abgeschöpft werden. Seit dem Spätmittelalter aber gibt es auch eine andere Hefeform, die sich am Boden des Kessels ablagert. Daraus wird dann das sogenannte Lagerbier oder untergärige Bier. Erfunden wurde diese Brauart vermutlich in der Oberpfalz. Im Städtchen Nabburg ist erstmals 1474 ein untergäriges Bier erwähnt. Später hat man dieses untergärige Bier im Gegensatz zum obergärigen Altbier oder auch zum Weißbier Bier bayerischer Brauart genannt. Dadurch wurde das bayerische Bier letztlich weltberühmt und wegweisend für fast alle heutigen Biere. Der aktuelle Siegeszug des Hellen geht mittlerweile weit über Bayern hinaus. In den Berliner Spätis beispielsweis sind helle Biere aus Bayreuth, vom Tegernsee oder aus Starnberg mittlerweile groß angesagte Geheimtipps - ganz ohne Werbung! Jetzt könnt ma sagen, das Bier ist halt einfach gut. Aber natürlich gibt's längst Experten, die den Erfolg bedeutungsschwerer begründen: Schuld am Erfolg des Hellen ist seine Drinkability. Nun, dass es trinkabel, trinkfähig ist, setzen wir mal voraus. Der aufgeblasene Anglizismus soll aber eigentlich das heißen, wozu wir Süffigkeit sagen. Triffts viel besser, ist kürzer, jeder weiß, was gmeint ist. Aber was willst machen. The english trend is your friend. Mittlerweile selbst dann, wenns um bayerische Heiligtümer geht.

Frisch vergoren. Gärungsessig vom oberbayerischen Bienenhof

Bienenhof Pausch

In Nordeuropa heißt Bier bekanntermaßen öl oder wie in Großbritannien ale. Verwandt ist das mit lateinisch alimentum=Nahrung. Gerstensaft hat schließlich früher überall als Nahrungsmittel gegolten. Im Unterschied zum ale haben die Engländer auch ein beer gekannt. Das war allerdings feiner, weil aus Honig hergestellt. Bei uns nennt man dieses Getränk Met. Von lateinisch medus=Honigwein. Sie sehen: In alten Zeiten hat man zwischen Bier und Wein nicht so genau unterschieden. Wichtig war die Wirkung. Ende des 8. Jahrhunderts nach Christus hat zum Beispiel Karl der Große verordnet, dass es in jedem Gericht, also quasi jeder Stadt, jedem Landkreis, einen geben muss, der, so wörtlich berauschende Getränke herstellen kann. Egal, ob aus Getreide, Obst oder Honig. Allen gemeinsam war diesen Getränken, dass sie sich, genauso wie in den frühesten Zeiten, nicht sehr lang gehalten haben. Verantwortlich dafür ist eine zweite Form der Gärung oder Fermentation, bei der Bakterien den Alkohol in Säure umwandelt, in Essigsäure. Essig von lateinisch acetum heißt so, weil er spitz, stechend, scharf schmeckt. Das muss nicht ungut sein, weshalb man Essig zu allen Zeiten hochgeschätzt hat - und das vor allem unter kulinarischen Gesichtspunkten bis heute tut. Der Bienenhof Pausch im oberbayerischen Unterschnatterbach bei Scheyern stellt zum Beispiel Gärungsessige aus Honig her. Jeden Samstag hat dort der Hofladen geöffnet. Aber Sie bekommen die Produkte auch auf vielen Märkten in Oberbayern. Rezepte zum Beispiel für Orangencarpaccio oder die Roquefort-Creme-Brûlée mit Lindenhonig-Essig finden Sie hier.

Gut gegoren: Essigsirup. Die neue alte Tradition aus Mittelfranken

Ezzich - Bio-Essig aus Franken

Nicht erst seit heute wird Essig auch getrunken. Die römischen Soldaten zum Beispiel hatten immer posca, dabei, mit Wasser verdünnten Essig. Als Jesus am Kreuz mich dürstet gesagt hat, hat ihm ein römischer Soldat auf einem Schwamm Posca gereicht. Nicht um ihn zu quälen, sondern um aus Mitleid seinen Durst zu stillen. Posca bedeutet wörtlich Trank zum Essen und war Alltagsgetränk. Ähnlich wie Wein konnte man dieses Essigwasser noch zusätzlich würzen. Beliebt dafür war wiederum süßer Fruchtsaft zum Beispiel von der Dattel-, Honig oder Kokospalme. Dieser Saft heißt auf lateinisch sirpus - unser Wort Sirup ist daraus geworden und die Araber nennen bis heute ihr mit süßem Fruchtsaft gewürztes Essigwasser shrub.

Ein Wort wiederum, das die Briten als shrub übernommen haben - und heute gerade dabei ist große Mode zu werden. Ein Ehepaar aus Mittelfranken ist da ganz vorn mit dabei. Die Beiden verstehen sich als Essig Botschafter und produzieren in ihrer kleinen Manufaktur Bio-Essig und seine süße Variante Schrub. Letztlich ist ja auch der berühmte aceto balsamico, der Balsamessig aus Italien, ein Mischerzeugnis aus Traubenmost und Weinessig. Und ganz ähnlich wie den Balsamico kann man auch den Schrub als vielseitiges Würzmittel einsetzen. Ein kleines Rezept für Himbeer-Schrub-Limonade gibt's hier.

Gegärt gegart. Spessarter Lakefleisch aus dem Lagerfeuer

Fermentation heißt heute der Überbegriff über alle möglichen Gärungsformen, wie zum Beispiel die alkoholische Gärung oder die Essiggärung, die sich dadurch unterscheiden, dass für die letztere Sauerstoff gebraucht wird, während Alkohol unter Sauerstoffabschluss entsteht. Aber das wissen wir erst seit dem 19. Jahrhundert.

Lakefleisch aus Rechtenbach im Spessart

Bei den Römern hat fermentare eben nix anderes als schwellen, blähen, brodeln, gären geheißen. Und seit uralten Zeiten hat man auf die ein oder andere Art fermentiert, um Lebensmittel haltbarer zu machen, besser verdaulicher oder auch schmackhafter. Denn bei Fermentationsprozessen entsteht neben den früher bekannten vier Geschmäckern süß, salzig, sauer und bitter der berühmte fünfte Geschmack, den die Japaner umami nennen und wir mit herzhaft, würzig, pikant umschreiben. Käse, Schinken, Salami, eingelegte Gurken, Brot und vieles mehr entsteht durch Fermentationsprozesse. Sauerkraut zum Beispiel fermentiert, wenn es eingesalzen wird. Auch Fleisch, wie etwa Schinken, wird durch Einsalzen haltbar. Dieses Einlegen in Salzlake nennt man pökeln oder bei uns in Bayern suren. Dadurch wir Fleisch haltbar, aber auch mürb und überaus schmackhaft. Im Spessart ist leicht eingesalzenes Lakefleisch eine ganz besondere regionale Spezialität.

Gern gegessen. Butterzarte Ochsenschipf aus Oberfranken

Ochsenschipf

Und mit dem Spessarter Lakefleisch haben wir endlich auch den Übergang vom Gären zum Garen geschafft. Zweimal im Jahr wird im oberfränkischen Troschenreuth bei Pegnitz im Landkreis Bayreuth Kirwa gefeiert, Kirchweih. Waren es früher vier Wirtshäuser, die sich die Gäste teilten, gibt es heute bloß noch zwei Gasthöfe in Troschenreuth. Und bloß eines davon - der Gasthof "Zum Roten Ochsen" - stellt zur Sommer- und zur Herbst-Kirwa eine besondere Speisekarte vor die Türe. Auf dieser steht dann in weißer Kreide ein Gericht, das es nur zu diesem Anlass und nirgendwo anders gibt. Es heißt "Ochsenschipf" oder "Rinderschipf". Dabei handelt es sich um feines Rindfleisch, das extrem lang in einer Brühe brodeln muss, bis es schließlich so gar ist, dass es fast auseinanderfällt. Aber bloß fast.

Das zweite Mal heuer ist in Troschenreuth Kirwa im November. Hinfahren, probieren!

Gar gierig. Besoffene Viecher

Weder das Garen noch das Gären ist ohne Flüssigkeiten im Prinzip unmöglich. Und da ist es nur ein scheinbarer Wiederspruch in sich, wenn alkoholische Getränke trocken genannt werden. Dieses trocken nämlich bedeutet nix anderes, als dass die Gärung gar, also beendet ist. Während der Gärung rührt sich was, da blubberts und brodelts. Nach der Gärung liegt der fertige Wein leblos da und starr. Der Winzer sagt: trocken. In trocken genauso wie in starr steckt die uralte indoeuropäische Wortwurzel ter- oder ster-, die soviel bedeutet wie fest sein, stillhalten.

Kühe im Stall

Verwandte Wörter sind die lateinische terra, die feste Erde, der fest am Firmament stehende Stern oder der Ster, der Festmeter Holz. Wenn etwas getrocknet ist, dann ist es im Allgemeinen auch fest, unveränderlich, getrocknete Lebensmittel sind haltbar. Nur Feuchtes neigt dazu, sich zu verändern, zu verwandeln. Trockener Wein ist zwar auch noch feucht, aber relativ stabil. All das war unseren steinzeitlichen Vorfahren einmal herzlich egal. Sie kannten feuchtfröhliche Zustände schon immer, schon aus Zeiten, in denen sie noch keine Sprache hatten, um zu sprechen, keinen Verstand hatten, um zu reflektieren. Schließlich leben Tiere keineswegs von Haus aus abstinent. Wenn sie Alkoholisches erwischen, dann bleibt tatsächlich kein Auge trocken. Und so ists noch heut, wie schon immer seit unvordenklichen Zeiten: Erst der Genuss von Gegartem und Vergorenem macht das Leben zum Fest. Besonders häufig sind solche Feste schon immer im Herbst gewesen, der nicht umsonst mit dem englischen harvest verwandt ist, der Ernte. Nach der Arbeit das Vergnügen. Wenn geerntet ist, beginnt der Genuss. Nach seinen werktätigen Schöpfungstagen, am siebten Tag, hat Gott geruht und gefeiert. Das hebräische Schabbat, von dem unser Wort Samstag kommt, bedeutet ruhen, feiern. Und dazu gehören untrennbar Essen und Trinken. Gegartes, Vergorenes. In diesem Sinn wünsch ich: Einen schönen Samstag und Sonntag und viele kleine und große Feste in einem genussreichen September. An dessen Ende wir uns nach zwei entbehrungsreichen Jahren wieder auf das größte Fest Bayerns, unser Nationalfest, freuen dürfen: Das Oktoberfest. Da dürfts bei manchem von uns innerlich schon jetzt a bisserl Gären…


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