Hermann Glaser schreibt Jean Paul en miniature
Mit zehn kleinen Texten nähert sich Hermann Glaser Jean Paul. Der Nürnberger Publizist ist seit seiner Kindheit mit dem Dichter vertraut. Jeden Monat erscheint hier eine Miniatur. Als Franke sagt Glaser: Jean Paul war unser!
Eröffnung. Jean Paul en miniature. Zehn Folgen
Autor: Hermann Glaser
Wenn man im Lexikon nachschlägt, was die Bezeichnung "en miniature" bedeutet, dann heißt es: "Im kleinen Ausmaß, ungefähr entsprechend, im Kleinen dargestellt und zwar in Bezug auf etwas, was eigentlich als Größeres existiert."
In zehn Folgen wollen wir uns Jean Paul, der am 21. März 1763, also vor 250 Jahren geboren wurde, nähern. Nicht in Form einer großen Abhandlung, sondern eben in Form kleiner Texte. Als Franke sage ich: er war unser! Der Dichter stammte aus Wunsiedel im Fichtelgebirge und lebte im Laufe seines bewegten Lebens – er sprach von "Renn- und Wanderjahren", die ihn nach Leipzig, Berlin, Weimar, Meiningen und Coburg führten – schließlich in Bayreuth.
Ein schwieriger, aber großer Autor
Aber ist er wirklich unser Dichter? Viele haben von ihm sicherlich noch nichts gelesen, und wenn sie anfangen, es zu tun, legen sie ihn rasch wieder zur Seite. Er ist ein schwieriger Autor; aber ein großer; "a weng groß". Im Kleinen groß, aber auch, was seine gewaltigen dichterischen Gemälde betrifft.
Warum es so schwer ist, mit ihm zurechtzukommen, obwohl er doch über eine große Wärme des Herzens verfügt, hängt mit seiner Sprache und seinem poetischen Stil zusammen. Goethe meinte, er sei nur ein Philister gewesen. Und Friedrich Nietzsche nannte ihn, auch wenn er ihn "in Teilen" hoch schätzte, ein "Verhängnis im Schlafrock". Damit äußerte er seinen Ärger mit einem Dichter, der so langatmig und "verschlungen" formuliert.
Durch den Kosmos der Stimmungen mäandernd
Jean Paul hängt sich an Nebensächlichkeiten, die er aber wichtig nimmt und denen er nachspürt. Er ist geradezu verbissen, sein Wissen immer loszuwerden; er schöpft aus vielen Zettelkästen. Viele Gefühle drängen sich simultan in seine Feder; sein Redefluss ist nicht geradlinig; er mäandert durch den Kosmos der Stimmungen. "Jean Pauls Periodenbau", meinte Heinrich Heine, "besteht aus lauter kleinen Stübchen, die manchmal so eng sind, daß, wenn eine Idee dort mit einer anderen zusammentrifft, sie sich beide die Köpfe zerstoßen; oben an der Decke sind lauter Haken, woran Jean Paul allerlei Gedanken hängt, und an den Wänden sind lauter geheime Schubladen, worin er Gefühle verbirgt." Man muss eben, wenn man Jean Paul verstehen will, einen grundsätzlichen Wechsel bei der Textaufnahme vollziehen – das Verhängnis wird dann zum Ereignis und der Schlafrock zum vielfältig leuchtenden Gewand.
"Die Sprache ist ein Gewölk, an dem jede Phantasie ein anderes Gebilde erblickt."
Jean Paul
Sprache, meinte Jean Paul also, gleicht einem Gewölk, an dem jede Phantasie ein anderes Gebilde erblickt. Man genießt dann den blühenden Reichtum seiner Sprachspiele und seines Sprachwitzes. Wer sich von diesen Spielen einfangen lässt, wer sie mitspielt, wird Freude empfinden: die Freude des in der Sprache zu sich selbst kommenden, seine Souveränität beweisenden Geistes. Jean Paul lehrt uns wieder die Kunst des entschleunigten Lesens. "Short message" ist nicht seine Sache.
Hermann Glaser
Der Nürnberger Kultursoziologe und Publizist Prof. Dr. Hermann Glaser ist seit seiner Kindheit mit Jean Paul vertraut. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter eine kommentierte Ausgabe von Jean Pauls "Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal" und ein Kurzband zu Jean Paul namens "Auf den Spuren der Dichter und Denker durch Franken". Jeden Monat wird an dieser Stelle eine Jean Paul-Miniatur erscheinen, mit der uns Hermann Glaser den Dichter ein Stück näher bringt.