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Corona-Langzeitfolgen Post-COVID-Syndrom / Long Covid

Wer eine COVID-19-Infektion hinter sich und mehr als drei Monate danach noch Beschwerden hat, leidet nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem sogenannten Post-COVID-Syndrom. Es kann nach schweren und milden Verläufen der Akut-Infektion gleichermaßen auftreten. Schätzungen zufolge sind zehn bis 20 Prozent der Infizierten davon betroffen.

Von: Susanne Dietrich

Stand: 23.11.2021

Das häufigste und stark quälende Symptom von Post Covid ist Fatigue, ein die Lebensqualität stark einschränkender Erschöpfungszustand. (Symbolbild) | Bild: picture alliance/dpa-Themendienst/Christin Klose

Unter dem komplexen Beschwerdebild sind gut 200 Symptome zusammengefasst – von Atemnot über Herzrhythmusstörungen bis zu Haarausfall. Häufig berichten Betroffene aber auch von psychiatrischen, neurologischen und kognitiven Schwierigkeiten.

Expertin:

Dr. Sandra Nischwitz, Neurologin, Schlafmedizinerin und Leiterin der neurologischen Post-COVID-Ambulanz am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München

Die Ursachen für das Post-COVID-Syndrom sind wissenschaftlich noch nicht abschließend erforscht. Eine Theorie geht davon aus, dass das Virus weiterhin Nervenzellen befallen und für unterschwellige Entzündungsprozesse im Gehirn verantwortlich sein könnte. Andere Hypothesen vermuten eine überschießende Autoimmunreaktion oder Probleme mit der Durchblutung der kleinen Blutgefäße, der Mikrozirkulation, hinter den Symptomen. Es wäre auch möglich, dass die Ursachen bei verschiedenen Betroffenen variieren.

So lange Post COVID noch mit vielen Fragezeichen versehen ist, kann keine ursächliche, sondern nur eine symptombezogene Therapie erfolgen.

Etwa ein Viertel der Menschen mit Corona-Langzeitfolgen berichtet von psychischen Symptomen wie depressiven Verstimmungen, Angst- und Schlafstörungen.

Wer im Laufe seines Lebens schon einmal mit einer psychiatrischen Erkrankung zu kämpfen hatte, hat ein erhöhtes Risiko, dass diese nach einer COVID-19-Infektion erneut auftritt. Auf der anderen Seite können Patientinnen und Patienten durch Beschwerden, Unsicherheiten und veränderte Lebensumstände, die eine Corona-Infektion mit sich bringen kann, psychische Probleme entwickeln. Beides kann sich gegenseitig bedingen.

15 bis 20 Prozent der Post-COVID-Betroffenen klagen über depressive Symptome. Wenn Betroffene bereits vor der COVID-19-Erkrankung stark belastende Lebenssituationen, depressive Episoden oder gar eine Depression erlebt haben, können diese nach der Infektion erneut zum Vorschein kommen. Oft besteht hierbei eine Wechselwirkung mit der schnellen Erschöpfbarkeit, unter der viele Menschen mit Corona-Langzeitfolgen leiden.

"Manche entwickeln sekundär depressive Symptome, weil sie nicht mehr leistungsfähig sind. Oder weil sie sich in der Arbeit so verausgaben, dass sie in der Freizeit gar nichts mehr machen können – und es dann natürlich zu Problemen in der Familie kommt, zum Rückzug aus dem Freundeskreis. Das kann wiederum zu einer depressiven Stimmung führen und sich auch gegenseitig hochschaukeln."

Dr. Sandra Nischwitz

Auch verstärkt auftretende Ängste oder gar Angststörungen können sich nach einer COVID-19-Erkrankung entwickeln. Hier können ebenfalls verschiedene Faktoren zusammenspielen: die Grundtendenz, schnell Ängste zu entwickeln, die Schwere der durchgemachten Infektion, Sorgen aufgrund von Symptomen wie Herzrhythmusstörungen oder Befürchtungen, den Job zu verlieren.

Ein- und Durchschlafstörungen treten bei Post-COVID-Betroffenen verstärkt auf. Über die Ursachen lässt sich bislang nur spekulieren. Beispielsweise könnten die Schlafprobleme damit zusammenhängen, dass Patientinnen und Patienten sich – auch nachts – mehr Gedanken und Sorgen machen als zuvor. Eine andere Ursache könnte die verringerte Aktivität aufgrund der Erkrankung sein, wodurch der Tag-Nacht-Rhythmus aus der Balance geraten kann.

"Einige Patienten entwickeln wegen nächtlicher Atemaussetzer starke Ängste, also wegen einer pulmonalen Problematik, weil sich beispielsweise die Muskulatur im Rachenbereich verändert hat. Es gibt aber auch Patienten, die eine sogenannte Rem-Schlaf-Verhaltensstörung haben, die dann auf einmal nachts Träume ausleben und sich extrem stark bewegen. Andere fangen in der Nacht plötzlich an zu essen. Man weiß nicht genau, warum. Aber all das legt sich erfreulicherweise zumindest bei den Betroffenen, die ich gesehen habe, innerhalb von wenigen Monaten."

Dr. Sandra Nischwitz

Nach einer Corona-Infektion leiden Patientinnen und Patienten häufig unter neurokognitiven Problemen wie Konzentrationsschwierigkeiten. Aufmerksamkeit und Fokussierung über einen längeren Zeitraum zu halten, fällt vielen Post-COVID-Betroffenen schwer. Auch die Merkfähigkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit können beeinträchtigt sein.

Probleme mit der Konzentration treten bei Menschen mit Corona-Langzeitfolgen in verschiedenen Schweregraden auf. Mit neuropsychologischen Untersuchungen lässt sich genauer differenzieren, in welchen Bereichen Betroffene die größten Probleme haben und wie stark diese ausgeprägt sind. Besonders herausfordernd ist für viele Patientinnen und Patienten eine "geteilte Aufmerksamkeit", wenn sie also verschiedene Dinge oder mehrere Reize gleichzeitig beachten sollen.

"Viele sagen, dass es ihnen zum Beispiel gelingt, vier Stunden Wiedereingliederung in der Arbeit zu absolvieren. Dann ist aber Schluss. Dann lässt die Konzentration so stark nach, dass Dinge, die sonst fast selbstverständlich sind – wie Tischdecken – extrem schwer fallen und viel langsamer gehen. Und dass Neues zu bestimmten Uhrzeiten gar nicht mehr möglich ist."

Dr. Sandra Nischwitz

Viele Post-COVID-Betroffene, die Konzentrationsschwierigkeiten oder andere kognitive Probleme haben, leiden auch unter einer postviralen Fatigue, also unter einer schnellen Erschöpfbarkeit und Krankheitsgefühlen nach Belastung. Diese sogenannte "Post-Exertional Malaise" kann auch zeitversetzt nach Anstrengungen auftreten.

"Jede Überanstrengung ist für diese Patientinnen und Patienten ein Problem. Sie müssen sehr diszipliniert sein und dürfen sich auch an guten Tagen nicht überlasten – weder im Haushalt noch bei der Organisation einer Feier. Über ihre Belastungsgrenze zu gehen, würde sie in ihrem Genesungsprozess stark zurückwerfen."

Dr. Sandra Nischwitz

Fatigue kann sich in verschiedenen Formen äußern. Die Erschöpfbarkeit kann im motorischen Bereich auftreten, also auf Bewegung und körperliche Aktivität bezogen sein. Andere Betroffene fühlen sich nach kognitiven Anstrengungen ausgelaugt, also wenn sie sich beispielsweise stark konzentrieren, vieles merken oder mehrere Dinge gleichzeitig tun mussten.

"Es gibt aber auch eine emotionale Fatigue. Für einige Patienten ist es sehr anstrengend, wenn sie bewegende positive Erlebnisse haben. Dass man zum Beispiel mit Familie oder Freunden über etwas Aufwühlendes redet und danach komplett erschöpft ist. Es kann auch sein, dass man sich mit jemandem freut, zum Beispiel weil jemand heiratet – und dies zu starker Erschöpfung führt, die über Tage anhalten kann."

Dr. Sandra Nischwitz

Zwischen einer COVID-19-Infektion einerseits und psychiatrischen oder neurokognitiven Problemen andererseits muss kein kausaler Zusammenhang bestehen. Eine umfassende Diagnostik ist wichtig, um andere Erkrankungen auszuschließen.

Das Zauberwort heißt Differentialdiagnostik. Viele Symptome aus den Bereichen Psyche und Nervensystem, die für Post COVID typisch sind, können einzeln genommen auch mit anderen Krankheiten zusammenhängen.

Deswegen sollte zu Beginn einer Diagnose ein ausführliches Anamnesegespräch stehen, in dem die Vorgeschichte, die Lebensumstände und die Beschwerden der Betroffenen erfasst werden. Andere Erkrankungen sollte man anschließend durch Labor- und Kernspin-Diagnostik sowie Untersuchungen von Muskulatur und Nervensystem ausschließen.

"Wir wollen nicht darauf hereinfallen, dass jemand eine Depression entwickelt, weil er vielleicht einen Schlaganfall hatte, der ja auch wieder im Zusammenhang mit COVID-19 gewesen sein kann. Fatigue-Beschwerden können durch verschiedenste rheumatische oder Tumor-Erkrankungen, aber auch durch hormonelle Störungen verursacht werden. Und auch eine Schilddrüsen-Unterfunktion sollten wir natürlich nicht übersehen."

Dr. Sandra Nischwitz

Sollte keine andere Ursache für die Beschwerden gefunden werden, erfolgen – je nach Symptomen – verschiedenste Untersuchungen. Um Konzentrations- und Gedächtnisprobleme zu diagnostizieren, können beispielsweise Demenztests durchgeführt werden. Allerdings erfasst man damit vor allem schwer Betroffene. Exaktere Ergebnisse können mit computergestützten neuropsychologischen Testungen erzielt werden, die unter anderem zwischen Reaktion, Multitasking, Konzentration, logischem Denken und Merkfähigkeit differenzieren.

Beschwerdebilder wie Depression, Schlaf- oder Angststörungen werden mit Fragebögen und Patientengesprächen diagnostiziert. Die Ausprägungen von Fatigue-Symptomen können ebenfalls durch Fragebögen bestimmt werden, die unter anderem zwischen somatischer, kognitiver und emotionaler Erschöpfbarkeit unterscheiden.

Da die Hintergründe des Post-COVID-Syndroms bislang nicht abschließend erforscht sind, gibt es noch keine ursächliche Therapie. Aber psychiatrische oder neurokognitive Symptome lassen sich mit bekannten Methoden behandeln.

In der Behandlung von psychiatrischen und neurokognitiven Post-COVID-Beschwerden orientiert man sich an den Erfahrungen mit ähnlichen Symptomen aus anderen therapeutischen Bereichen. Häufig sind diese auch für Menschen mit Corona-Langzeitfolgen hilfreich.

Patientinnen und Patienten, die unter Fatigue-Symptomen leiden, hilft zumeist das sogenannte Pacing: Die eigenen Kräfte gut einzuteilen und genug Pausen zu machen. Dabei kann es sinnvoll sein, einen genauen Tagesplan aufzustellen und sich zu notieren, nach welchen Aktivitäten Erschöpfungs- und Krankheitsgefühle auftreten. Auch Achtsamkeits- oder Meditationsübungen können für Betroffene wohltuend sein.

"Erschöpfungssymptome kommen oft in Schüben. Idealerweise hat man jemanden, zum Beispiel eine Psychotherapeutin, die einen begleitet und auch ein Stück weit coached, wie man sinnvolle Wochenpläne macht und mit seinen Kräften haushält. Auch Angehörige können Betroffene unterstützen, sich im Alltag nicht zu überlasten."

Dr. Sandra Nischwitz

Wer unter Symptomen wie Konzentrationsschwierigkeiten oder Problemen mit Multitasking leidet, kann sich von Neuropsychologen oder Ergotherapeuten unterstützen lassen. Mit computergestützten Programmen, die zumeist spielerisch aufgebaut sind, können Post-COVID-Betroffene ihre Schwachstellen gezielt trainieren.

Bei der Diagnose Post-COVID-Syndrom kann der Hausarzt seit dem 1. Juli 2021 Ergotherapie verschreiben, ohne sein Budget zusätzlich zu belasten.

Eine Psychotherapie, ob gesprächs- oder verhaltenstherapeutisch ausgerichtet, kann bei Depressionen, Angst- und Schlafstörungen sinnvoll sein – eventuell in Kombination mit einer gezielten Gabe von Antidepressiva. Patientinnen und Patienten mit Schlafstörungen können Entspannungsübungen erlernen oder sich bei einer ambulanten Schlafschule oder Gruppentherapie für Schlafprobleme anmelden.

Bei vielen Post-COVID-Betroffenen werden die Symptome über einen längeren Zeitraum leichter. Was sie nach drei Monaten noch als stark belastend empfinden, ist möglicherweise nach sechs Monaten nur noch eine leichtere Einschränkung.

"Es gibt aber leider auch einzelne Fälle, wo die Beschwerden sehr hartnäckig sind, auch noch nach eineinhalb Jahren. Wir tun uns da sehr schwer, eine Prognose zu stellen, wie lange sich das hinziehen kann, solange man Post COVID noch nicht besser versteht."

Dr. Sandra Nischwitz

Eine Liste mit weiteren Post-COVID-Ambulanzen finden Sie hier.

Hier gelangen Sie zur Terminservicestelle Psychotherapie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns.


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