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Vom Sehen und Gesehen-werden Promenade

Es gibt sie noch überall in Bayern: Uferpromenaden, Kurpromenaden, Promenadeplätze. Aber gibt es die dazugehörige Tätigkeit noch, das Promenieren? Sind Sonntagsspaziergang, Schaufensterbummel, allfällige Autokorsos adäquater Ersatz? Hat sich das "Sehen-und-Gesehen-werden" nicht längst auf virtuelle Promenaden in sozialen Medien verlagert?

Von: Andreas Höfig

Stand: 25.05.2022 | Archiv

Vom Sehen und Gesehen-werden: Promenade

Was ist eigentlich eine Promenade? Was ist anders als beim Spaziergang, beim Bummel, bei der Wanderung oder der Besorgung? Das Wort Promenade bezeichnet nicht nur den Vorgang des Promenierens, sondern auch den Ort dieses Gehens, die dafür angelegte Promenade. Im Französischen, aus dem das Wort stammt, heißt "se promener" nicht nur das Gehen zu Fuß. Man kann auch "en voiture" promenieren oder "à velò", also im Auto oder mit dem Fahrrad. Der Italiener hingegen scheint das Promenieren geradezu erfunden zu haben. Nur heißt es dort "passegiata". Tutta la Città schlendert über den Corso, über die Piazza, man grüßt und trifft sich, vorzugsweise am kühlen Abend. Sicher ist, dass das Promenieren seine große Zeit im 19. Jahrhundert erlebt - mit dem Erstarken des Bürgertums.

"Der reine Eindruck des Lustwandelns auf einer öffentlichen Promenade äußert sich durch ein Wohlgefallen an Menschen, ihrem Seyn und Thun: der Anblick des Frohsinns, der guten Laune, des heitern Scherzens, des geschmackvollen Anzugs, der angenehmen Haltung des Körpers der schönen Welt, des wechselnden Spiels der Gestalten, des ganzen regen Lebens und bunten Menschengewühls."

Karl Gottlob Schelle 1802, Die Spatziergänge oder die Kunst spatzierenzugehen

Im 19. Jahrhundert war die Bürgerschaft zu Wohlstand gekommen und hatte ein neues Selbstbewusstsein gewonnen. Jetzt wollte jeder auch öffentlich zeigen, wer er war. Und mit dem Reichtum kam etwas ganz Neues ins Spiel: Freizeit! Plötzlich hatte man Muße für Spaziergänge, für angeregte Gespräche über Philosophie, Religion und Wissenschaft, für den Austausch von Ansichten und Meinungen untereinander. Das Verhältnis zur Natur veränderte sich grundlegend: Galt sie früher als gefährlich, feindlich und wild, nahm man sie nun als romantisch und heroisch war. Bald schon drängte jedermann aus der muffigen Stubenluft hinaus ins Freie. Und dort traf man andere Frischluftbegeisterte. So ging es beim Promenieren bald auch - wie man heute sagt: ums Netzwerken. Die Promenade eignete sich ideal zum Knüpfen oder Festigen von Kontakten, zum Anbahnen von Beziehungen. Mit der richtigen Selbstdarstellung stiegen Ansehen und Prestige in der Gruppe.

Promenadeplatz in München

Der bürgerliche Münchner war schon immer etwas eigensinnig. Spaziergang schön und gut, aber nur weil der Kurfürst einen Promenadeplatz in München anlegen lässt, hieß das noch lange nicht, dass er da hingeht. Seit 1805 gibt es den Platz, doch so recht funktionieren wollte er nie.

"In München war Promenade auch nie das, was man sich so vorstellt, so italienisch, wo die einen auf der einen Seite langgehen, ah, hallo, das war eher selten. Ich glaub getroffen hat man sich nach der Kirche. Aber diese Art der Promenade wie wir sie aus Italien kennen, aus den südlichen Ländern, dass also die ganze Bevölkerung am Abend auf einem wichtigen Platz ist, das ist hier auf keinen Fall."

Dr. Christine Rädlinger, Historikerin und Autorin Historisches Grün in München

Maximilianstraße in München

Einen Abglanz des Promenierens kann man heute noch auf der Maximiliansstraße erleben. Hier spannte sich einst das Forum bis zum Maximilianeum empor, mit Statuen und Denkmälern gesäumt, für die Bildung des Volkes. Heute flanieren zwischen Oper und Altstadtring vermögende Touristinnen aus aller Welt, während auf der Straße selbst ihre Männer in teuren Nobelkarrossen Sehen und Gesehen-werden auf ihre Art zelebrieren. Eitelkeit und Selbstbespiegelung, die letztlich ins Leere läuft. Denn die wahre Promenade braucht das Gegenüber, den Bekannten, den man trifft. Du hier? Ich auch! Sehen und gesehen werden.

In Herrsching am Ammersee gibts seit den 70er Jahren eine Promenade, die fast alle Kriterien erfüllt: Aussicht prächtig - entschleunigtes Gehen - Cafés und Restaurants. Angeregte Gespräche im Kreis der Familien. Früher gehörte zur Promenade auch die beste Garderobe, schließlich wollte man zeigen wer man ist, und auch den Nachwuchs im besten Licht darstellen, um ihn womöglich gut verheiraten zu können.

"Ja es soll ja den ein oder anderen geben, der hier an der Promenade tatsächlich seine Zukünftige oder den Zukünftigen kennen lernt. Anwesende nicht ausgeschlossen. Tatsächlich ist mir das auch passiert, dass ich hier meine Frau kennengelernt habe."

Christian Schiller, 1. Bürgermeister Herrsching am Ammersee

Kurpark in Bad Kissingen

Promenade wie in früheren Zeiten, daran erinnert natürlich eine der ältesten und schönsten Kurpromenaden Bayerns - in Bad Kissingen. Mehr als 125 Kilometer umfasst das verfügbare Wegenetz. Um den Kurgarten scharen sich zwei Basarzeilen mit schönen Cafés und Geschäften, gegenüber liegt der Luitpold-Park mit dem Luitpold-Bad, das früher eines der größten Badehäuser in Europa war - heute sitzt hier die Spielbank. Die Cafés sind bei Flaneuren und Beobachtern sehr beliebt.

"Also promeniert wird nicht nur an einem Ort, letztendlich bestehen die Wege aus einem ganzen System an Wegen und Pfaden, die ihren Ursprung schon Ende des 18. Jahrhunderts haben und damals eben für die Kurgäste angelegt wurden. In Garitz hat man begonnen auch außerhalb des heutigen Kurgartens die Natur rundherum mit einzubeziehen und die Gäste unter anderem zu Naturplätzen wie z. B. dem Kaskadental oder den heutigen Wichtelmühlen zu führen."

Kurdirektorin und Geschäftsführerin Sylvie Thormann

Flanieren in traditionellen Kostümen beim Rakoczy-Fest in Bad Kissingen

Die glorreiche Zeit Bad Kissingens, wo Kaiser und Könige über die Promenade fuhren, wo bürgerliche Kurgäste sich im Glanz der Hoheiten sonnten, einen Blick erhaschen konnten, lebt jedes Jahr am letzten Juliwochenende wieder auf - beim Rakoczy-Fest.

Und dann herrscht der Smalltalk, der zur Promenade gehört, wie einst Spazierstock und Spitzensonnenschirm. Das ist ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts.

"In Absicht auf Körper und Geist, ist Körperbewegung ein nothwendiges Erforderniß der körperlich-geistigen Gesundheit."

Karl Gottlob Schelle 1802, Die Spatziergänge oder die Kunst spatzierenzugehen

So eine über Jahrhunderte gewachsene Kurpromenade wie die in Bad Kissingen wurde geplant, hat sich geformt und weiterentwickelt. Doch wie baut man Spazier- und Flaniermeilen heute? Werden Promenaden überhaupt noch geplant? Braucht es sie noch? München baut gerade ein komplett neues Stadtviertel in Freiham - mit Promenaden.

"Ganz grundsätzlich sollten wir unsere Plätze, Promenaden, Grün- und Freianlagen darauf ausrichten, dass sie das ermöglichen. Und die Lösung kann net sein, dass wir alle mit dem Auto ins Tegernseer Tal fahren. Sondern wir brauchen die Münchner Grünanlagen, Freiräume, Straßen und Plätze; und darüber hinaus brauchen wir sicher auch in unserem Grüngürtel noch die ein oder anderen Wegeinfrastruktur, die uns ermöglicht auch diese Räume erst einmal zu verstehen."

Philipp Königer, Landschaftsarchitekt, Stadtplaner Landeshauptstadt München

Die Promenade und das Promenieren - auch heute gibt es das noch: Beim Schaulaufen in der Opern- oder Konzertpause rund um Opernhäuser und Theater. Aber es gibt längst auch virtuelle Promenaden: Unzählige Posts auf Instagram, Facebook und WhatsApp zeigen, wie wichtig es immer noch ist, zu sehen und gesehen zu werden, sich zu präsentieren, nicht in der Masse unterzugehen. Mark Zuckerberg hat nun mit einer "Virtual Reality Offensive" seiner Internetfirma META eine neue Ebene von "Sehen und Gesehen werden" angekündigt. Man trifft die Freunde nur noch virtuell beim Konzert oder beim Event, und braucht das Haus gar nicht mehr zu verlassen. Im Moment und wahrscheinlich auch in Zukunft verabreden sich selbst Digital Natives noch lieber über Social Media zu einem kleinen Flashmob auf der Feiermeile: Leute treffen, ganz real und Aug in Aug.


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