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Psychokardiologie Wenn die Seele das Herz krankmacht

Kopfschmerzen, Multiple Sklerose, Parkinson und Bandscheibenvorfall - Nervenzellen sind an vielen Krankheiten beteiligt. Doch auf den ersten Blick ist das nur schwer zu erkennen. "Ich bin genervt!" oder "Das geht mir auf die Nerven!" - alltägliche Stoßseufzer. Doch was hat das mit dem Nervensystem zu tun?

Von: Uli Hesse

Stand: 23.07.2024 |Bildnachweis

Mann greift sich an sein Herz | Bild: picture-alliance/dpa

Kopfschmerzen, Multiple Sklerose, Parkinson und Bandscheibenvorfall - Nervenzellen sind an vielen Krankheiten beteiligt. Doch auf den ersten Blick ist das nur schwer zu erkennen. "Ich bin genervt!" oder "Das geht mir auf die Nerven!" - alltägliche Stoßseufzer. Doch was hat das mit dem Nervensystem zu tun?

Experte:

Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig, Forschungsleiter für Psychokardiologie an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Technischen Universität München sowie am Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München.

Herz und Seele beeinflussen sich gegenseitig. Vor allem Depressionen und chronische Erschöpfung sind entscheidende Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und wirken sich auf Verlauf und Behandlungserfolg aus.

Dem Text liegt ein Interview mit Prof. Dr. med. Karl-Heinz Ladwig, zugrunde, Forschungsleiter für Psychokardiologie an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Technischen Universität München sowie am Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München.

Herz und Seele beeinflussen sich gegenseitig: Niedergeschlagenheit, Ängste, Ärger und Stress können das Herz-Kreislauf-System beeinflussen und dadurch Krankheiten langfristig auslösen oder verschlechtern. Aber Herzkrankheiten können wiederum auch zu Depressionen führen.

Das Fach Psychokardiologie kombiniert Wissen aus der Psychosomatik, Psychologie, Soziologie, Arbeitsmedizin und Kardiologie um herauszufinden, inwieweit die Seele den Verlauf und die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflusst.

Psychokardiologie: Historie

Die Amerikanerin H. Flanders Dunbar gilt als Pionierin; sie untersuchte die Zusammenhänge zwischen Herz und Psyche bereits in den 40er Jahren an einer New Yorker Klinik. Den größten Einfluss hatten allerdings große internationale Studien, bei denen - eigentlich nur nebenbei – seelische Befindlichkeiten abgefragt wurden. Die wichtigste ist die Framingham-Herz-Studie, eine Langzeitstudie, die seit 1948 die Zusammenhänge zwischen Herzkrankheiten und unterschiedlichsten Risikofaktoren untersucht.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Die koronare Herzkrankheit entsteht, wenn fett- und kalkhaltige Ablagerungen die Herzkranzgefäße verengen und der Herzmuskel nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird. Koronare Herzkrankheiten sind die häufigste Todesursache in Deutschland; etwa ein Fünftel aller Menschen sterben daran. Studien haben ergeben, dass Depressive ein erhöhtes Risiko haben, einen Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen der Bein- und Beckenarterien zu erleiden.

Risikofaktoren

Die körperlichen Risikofaktoren für die Entstehung einer Herzkrankheit sind seit langem bekannt. Wer raucht, zu viel wiegt und sich nicht bewegt, riskiert langfristig eine Herz-Kreislauf-Erkrankung; dazu kommen nichtbehandelte Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes.

"Mehrere Studien seit 1984 am Helmholtz Zentrum ergaben ein ähnlich hohes Herzrisiko für Depressionen wie für die klassischen Risiken Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und hoher Cholesterinspiegel."

Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig

Einfluss auf den Verlauf

Aber die Seele kann auch den Verlauf dieser Herz- und Kreislaufkrankheiten beeinflussen. Depressive Patienten haben häufig eher einen ungesunden Lebensstil, und ihre Herzerkrankungen verlaufen daher im Allgemeinen schwerer. Nach der Diagnose haben sie größere Schwierigkeiten als seelisch weniger stark beanspruchte Menschen, ungesunde Gewohnheiten aufzugeben und die Behandlung wie vorgesehen durchzuhalten.

Krankheit macht depressiv

Aber eine Herz-Kreislauf-Erkrankung kann natürlich auch umgekehrt aufs Gemüt schlagen: Niedergeschlagenheit, Zukunftsängste um Familie und Beruf, die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit, bevorstehende Operationen, Medikamente mit starken Nebenwirkungen sowie chronische Schmerzen – all das kann zu einer Depression führen, die wiederum die Behandlung erschwert. Ein Teufelskreis, dem Patienten nur entkommen, wenn Seele und Körper ganzheitlich behandelt werden.

Die Grundlage der modernen Psychokardiologie ist der eindeutige Zusammenhang zwischen koronarer Herzerkrankung und Depression sowie Ängsten.

Am meisten gefährdet sind Menschen, die niedergeschlagen sind und sich ausgebrannt fühlen. Depressionen und chronische Erschöpfung führen zu einem Teufelskreis aus sozialer Isolation, ungesundem Lebensstil und negativem Selbstbild, der nicht nur das Krankheitsbild verschlechtern kann, sondern auch die Behandlung gefährdet.

Eine "Depression" bei Herzpatienten beschreibt ein anderes Krankheitsbild als es die Psychiatrie verwendet. Beim Herzen geht es um Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit. Die klassische psychiatrische Depression umfasst dagegen innere negative Bewertungen, Selbstvorwürfe oder eine Aggressivität, die sich gegen einen selbst richtet.

Diagnose

Erfahrenen Ärzten gelingt es mit zwei Fragen festzustellen, ob ein Patient depressiv ist und damit ein erhöhtes Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung hat:

  • "Haben Sie im letzten Monat oft unter Gefühlen von Niedergeschlagenheit, Depressionen oder Hoffnungslosigkeit gelitten?"
  • "Haben Sie im letzten Monat oft unter geringem Interesse oder Freudlosigkeit gelitten?"

Wer beide Fragen verneint, leidet mit großer Wahrscheinlichkeit (96 Prozent) nicht an einer Depression. Wer auch nur eine von beiden bejaht, der leidet mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit an einer Depression.

Versteinerung statt Trauer

Depressive Menschen gelten als "traurig". Aber das Schlimme ist, dass Depressive gar nicht mehr Trauer fühlen können. Sie sind eher ausgebrannt und wie versteinert, obwohl sie sich eigentlich danach sehnen, wieder ein Gefühl zu haben.

"Sie fühlen sich wie abgetrennt von der Welt, und können sich weder über ein süßes kleines Kind mit einem Luftballon freuen, noch bei einer traurigen Situation mitleiden. Das alles berührt sie nicht mehr richtig."

Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig

Depression beeinträchtigt den Behandlungserfolg

Depressive rauchen eher zum Zeitpunkt ihrer Herz-Kreislauf-Diagnose und es fällt ihnen schwerer als anderen, es aufzugeben. Im Vergleich zu sogenannten Gesunden nehmen sie auch weniger regelmäßig die verschriebenen Medikamente ein – beispielsweise, weil sie sich entscheiden, eine Dosis auszulassen oder sie vergessen, sie einzunehmen.

Teufelskreis

Depressiv Erschöpfte kehren seltener an ihren Arbeitsplatz zurück. Sie sind einsam, sozial isoliert und finden es schwierig, intime Beziehungen aufrechtzuerhalten. Das wirkt sich natürlich auf das Selbstbild aus. Dazu können Potenzstörungen aufgrund der depressiven Neigung und der Herz-Kreislauf-Erkrankung kommen, so dass sich daraus ein sozialer und psychischer Teufelskreis entwickelt.