Bayern 2

     

Die Schilddrüse Schilddrüse - Schmetterling im Körper

Klein, aber oho - so lässt sich die Schilddrüse (lat. Thyreoidea) charakterisieren: Wie ein Schmetterling mit zwei Flügeln sitzt das Organ an der Vorderseite des Halses vor der Luftröhre; sie ist insgesamt zehn bis 20 Gramm schwer, also jeweils von der Größe eines Daumens.

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 24.07.2023

Die Grafik zeigt die Lage der Schilddrüse in Form von zwei Lappen unterhalb des Kehlkopfs. | Bild: picture-alliance/dpa

Ihre Funktion ist von weitreichender Wirkung, indem die Schilddrüse Hormone produziert, die allen Energieverbrauch des Körpers (auch den Grundumsatz in Ruhe) steuern.

Experte:

Prof. Dr. med. Klemens Scheidhauer, Leitender Oberarzt an der Nuklearmedizinischen Klinik der TU München im Klinikum rechts der Isar, Leiter des interdisziplinären Schilddrüsenzentrums

Sie beeinflussen also den Stoffwechsel und Wachstumsprozesse, aber auch Herzfunktionen, den Schlaf, die Verdauung, die Psyche. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei das Spurenelement Jod.

Der Text basiert auf Interviews mit Prof. Dr. med. Klemens Scheidhauer, Leiter des interdisziplinären Schilddrüsenzentrums am Klinikum rechts der Isar der TU München

Wie ein Schmetterling mit zwei Flügeln sitzt das Organ Schilddrüse an der Vorderseite des Halses vor der Luftröhre - zwei Lappen, die mit einer Brücke (Isthmus) verbunden sind. Im gesunden Zustand ist sie klein, nicht sichtbar, und wiegt unter 20 Gramm (mit individuellen Unterschieden) und ist jeweils etwa daumengroß. Diese sog. Schilddrüsenlappen setzen sich aus den Schilddrüsenzellen (den Follikeln) zusammen. Das sind rundliche Zellverbände, in denen das Schilddrüsenhormon gebildet und so lange gespeichert, bis es vom Körper abgerufen wird.

Die einen Betroffenen sind müde, abgeschlafft, neigen zu depressiven Verstimmungen und Verdauungsproblemen. Die anderen fühlen sich zappelig, unruhig, verlieren ungewollt an Gewicht. Für beide Beschwerdebilder könnte die Ursache sein: Die Funktion der Schilddrüse ist gestört. Das bedeutet: Es wird entweder zu wenig (bei einer Unterfunktion) oder zu viel (bei einer Überfunktion) von den in diesem Organ produzierten Hormonen T3 und T4 bereitgestellt und ausgeschüttet. Schilddrüsenhormone sind aber existentiell wichtig für den Körper.

"Ohne Schilddrüsenhormone kann man nicht leben. Ein Kind, das zu wenig oder keine Schilddrüsenhormone hat, wächst nicht richtig! Auch z.B. die normale Entwicklung des Gehirns ist von Schilddrüsenhormonen abhängig."

Prof. Klemens Scheidhauer

Dabei bezeichnet der Befund "Schilddrüsen-Überfunktion und -Unterfunktion", so der Experte, noch nicht die Erkrankung an sich.

"Das sind erst einmal nur Bezeichnungen für die Stoffwechsel-Lage, also Laborbeobachtungen, die dann mit klinischen Symptomen und Beschwerden untermauert werden. Damit ist noch nicht die Ursache, also die eigentliche Diagnose genannt. Es gibt jeweils verschiedene Ursachen – aber der erste Schritt ist stets, erst einmal zu erkennen: Die Schilddrüsenfunktionslage ist gestört."

Prof. Klemens Scheidhauer

Eine sichtbare Vergrößerung der Schilddrüse (eine Struma oder auch Kropf) kann eine Fehlfunktion der Schilddrüse anzeigen, ebenso wie die Symptome typischer Beschwerdebilder (s.u.); oder wenn sich bei einer Blutuntersuchung im Labor die Veränderung des Steuerhormons, des sogenannten TSH-Wertes im Blut zeigt. Dieser Wert ist Dreh- und Angelpunkt bei der Diagnose einer Funktionsstörung der Schilddrüse.

"TSH ist der Schlüssel zum Regelkreis, den der Hypothalamus, ein Teil unseres Gehirns, zusammen mit der Hypophyse (der Hirnanhangdrüse) und der Schilddrüse bildet." Prof. Klemens Scheidhauer

Die Hypophyse steuert mit einem Schilddrüsen-spezifischen Hormon, dem TSH (Thyreoidea-Stimulierendes Hormon) die Tätigkeit der Schilddrüse. TSH stimuliert oder bremst die Produktion von Hormonen in der Schilddrüse. Dies sind die Hormone T3 und T4.

"Der Hypothalamus wiederum schickt ein sogenanntes Releasing-Hormon, das der Hypophyse rückmeldet, wenn zu wenig T3- und T4-Hormone im Körper vorhanden ist."

Prof. Klemens Scheidhauer

Je nach "Meldung", ob der aktuelle Hormonspiegel ausreichend ist oder nicht, wird also im Bedarfsfall das Hormon TSH ausgeschüttet, das der Schilddrüse sozusagen Kommando gibt, ihre Hormonproduktion und -ausschüttung nachzuregeln

Bei der Unterfunktion

  • schlägt das Herz langsamer, es kann zu Rhythmusstörungen kommen.
  • wird Müdigkeit und Antriebsschwäche empfunden.
  • kommt es bei Kindern zu Wachstumsproblemen, Konzentrationsstörungen und Leistungsabfällen.
  • ist die Wärmeregulierung vermindert, die Menschen sind kälteempfindlicher.
  • wird Enge und Druckgefühl am Hals empfunden, weil die Schilddrüse größer wird.
  • werden Haar und Haut trockener und stumpfer.
  • wird die Gehirnaktivität langsamer.
  • kommt es zu psychischen Beeinträchtigungen bis hin zur Depression.
  • wird der Darm träger, Betroffene neigen zu Verstopfung.
  • werden die Beschwerden gerade älterer Patienten schnell übersehen und die Symptome auf das Alter geschoben.

Bei der Überfunktion

  • steht das Herz an erster Stelle der Probleme, es kommt zu Herzrasen und zu Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung, die auch zum Schlaganfall führen kann.
  • kann der Blutdruck stark beeinflusst werden.
  • empfinden die Betroffenen häufig innere Unruhe und Nervosität, werden überaktiv.
  • zeigt sich Gewichtsverlust, Durchfälle treten auf.
  • ist der Energie-Grundumsatz erhöht, man schwitzt z.B. grundlos.
  • stellen sich Schlafstörungen ein.

Herzfunktionen sind sowohl bei der Unter- als auch bei der Überfunktion betroffen oder gestört.

"Die Schilddrüse ist der Motor der Blutversorgung."

 Prof. Klemens Scheidhauer

Umgekehrt geht dieser Weg nicht: Das Herz hat keinen Einfluss auf die Schilddrüse. Es gilt nur: Schilddrüsenhormone steuern die Herzfunktion.

Um überhaupt Schilddrüsenhormone bilden und ausschütten zu können, ist die Schilddrüse auf das Spurenelement Jod angewiesen. Das Mineral ist ausschließlich im Zusammenhang mit diesem Organ für den menschlichen Körper relevant.

Die Schilddrüse kann Jod einlagern und zu den Hormonen Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4). verarbeiten. T3 ist wirkungsstärker, T4 ist langlebiger.

Deutschland galt lange Zeit als Jodmangelgebiet. In der Eiszeit waren lebenswichtige Mineralien, eben auch das Spurenelement Jod, ausgeschwemmt worden. Heute wird der Mangel durch die zunehmende Verwendung von jodangereichertem Speisesalz in Haushalten und in der Nahrungsmittelindustrie tendenziell kompensiert.

Die Jodversorgung im normalen Maß erfolgt über eine ausgeglichene Ernährung mit Fisch, Fleisch in Maßen, Milch und eben mit Jod angereichertem Salz. Umgekehrt aber lässt sich ein bestehender Jodmangel allein über Ernährung kaum ausgleichen.

"Zu viel Jod kann es fast nicht geben, wenn die Schilddrüse gesund ist. Jodmangel müsste es heute eigentlich nicht mehr geben. Zumindest ist Deutschland nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO kein Jodmangelgebiet mehr. Ein Zusatz von Jod in Tablettenform sollte demnach nicht nötig sein."

Prof. Klemens Scheidhauer

Mit einer Ausnahme: Schwangeren wird die tägliche Einnahme von Jodtabletten unverändert angeraten.

Wird dem Körper nicht genug Jod zugeführt, kann die Schilddrüse nicht entsprechend Hormone produzieren. Die Folge ist eine mangelnde Versorgung des Körpers mit diesen lebensnotwendigen Wirkstoffen. So versucht der Körper, dies zunächst auszugleichen - ebenfalls über den Regelkreis zwischen Hypophyse, Hypothalamus und Schilddrüse. Zuerst einmal werden die Zellen der Schilddrüse vom Gehirn trotzdem stimuliert, Hormone zu bilden (auch wenn dies aufgrund des Jodmangels nicht möglich ist).

Die Vergrößerung der Schilddrüse – Struma (Kropf)

"Der Körper versucht, den Jodmangel zunächst einmal so zu steuern, dass die Schilddrüse größer wird. Die Schilddrüse kann sehr groß und sichtbar werden. Diese Schilddrüsenvergrößerung nennt man eine Struma (landläufig auch als Kropf bezeichnet). Die Kropfbildung wiederum kann in eine Knotenbildung ausarten. Diese Knotenbildung ist in aller Regel nicht bösartig." Prof. Klemens Scheidhauer

Heiße und kalte Knoten

Knoten in der Schilddrüse sind Areale, die sich entweder nicht mehr oder zu stark an der Hormonproduktion beteiligen. Die einen - untätigen - Areale werden "kalte Knoten", die anderen werden "heiße Knoten" genannt.

"Die Knotenbildung als solches hat mit der Funktion der Schilddrüse zunächst wenig zu tun. Knoten entstehen, weil sich durch den Wachstumsanreiz die Zellen nicht gleich-, sondern unregelmäßig bilden. Darüber kann dann auch der Mechanismus einer normalen Schilddrüsenhormonproduktion gestört werden; und zwar in der Form, dass die Schilddrüsenknoten sich verselbständigen - wir sagen dazu, dass die Knoten autonom werden. Autonom heißt, dass diese Knoten automatisch – ohne Anforderung über den Regelkreis - Jod aufnehmen, Hormone produzieren und ausschütten. Wenn also ein sogenannter autonomer Knoten über die Nahrung, über Medikamente oder über Kontrastmittel (zum Beispiel beim Röntgen) zu viel Jod angeboten bekommt, dann produziert dieser Schilddrüsen-Anteil zu viel Hormon; es kommt zur Überfunktion des Organs, die so extrem sein kann, dass sie sogar mit gefährlich hohem Fieber einhergehen kann." Prof. Klemens Scheidhauer

Szintigraphie

Mit einer Szintigraphie werden heiße und kalte Knoten bildlich dargestellt. Bei dieser Untersuchung spritzt man dem Patienten schwach radioaktive Substanzen. Über das bildgebende Verfahren zeigt die Aufnahme - das Szintigramm - blaue oder rote Areale. Blau sind dabei die kalten und rot die heißen Knoten der Schilddrüse, je nachdem, wie wenig oder wie stark die radioaktive Substanz in den Knoten angereichert wurde.

Eine Struma ohne autonome Knoten, also eine reine Schilddrüsenvergrößerung, kann sich zurückbilden, wenn wieder genügend Jod vorhanden ist, z.B. durch Jodtabletten.

"Knoten stellen ihre Funktion oft im Laufe der Zeit ein und degenerieren, aber auch das ist nicht bösartig. Trotzdem sollte man Knoten beobachten, ob sie weiterwachsen, denn auch dieses Wachstum kann sich verselbständigen. Normalerweise bleiben Knoten dann stabil, wenn genügend Hormon bzw. Jod wieder vorhanden ist. Dass Knoten auch bösartig werden können, muss man natürlich berücksichtigen, das ist aber sehr, sehr selten. Deswegen empfiehlt man bei vorhandenen Knoten einmal im Jahr eine Ultraschallkontrolle."

Prof. Klemens Scheidhauer

Knoten können eine Operation erfordern, bei der die Knoten entfernt werden oder auch bei mehreren Knoten die gesamte Schilddrüse. Dann muss mit Tabletten das fehlende Hormon ausgeglichen werden. Heiße Knoten können sehr gut auch durch eine Radiojodtherapie ausgeschaltet. Damit kann häufig eine Operation vermieden werden. Dabei wird dem Körper eine winzige Menge an radioaktivem Jod zugeführt, das seinen Weg quasi "automatisch" über den oben beschriebenen Weg findet, da es bei einer Schilddrüsen-Überfunktion nur von den Schilddrüsenzellen aufgenommen, die zu viel arbeiten. Hierbei verursacht die Radioaktivität ganz lokal nur an diesen unerwünschten Zellen Schäden, die zum sog. programmierten Zelltod führen.

"Wenn genügend gesunde Zellen vorhanden sind, kann sich nach einer Radioiodtherapie der autonomen Knoten die Schilddrüsenfunktion meist wieder vollständig normalisieren."

Prof. Klemens Scheidhauer

Der häufigste und harmloseste Hintergrund für Funktionsstörungen der Schilddrüse ist der Jodmangel. Doch auch Autoimmun-Erkrankungen können die Schilddrüse angreifen.

"Jodmangel kann man effektiv durch eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung (Seefisch!), ggf. auch mittels Jod-Tabletten ausgleichen". Prof. Klemens Scheidhauer

Als häufige Ursache für eine Schilddrüsen-Unterfunktion kommt zudem eine durch Antikörper (Autoimmunreaktion) verursachte Entzündung der Schilddrüse, die Hashimoto Thyreoiditis, in Betracht.

"Der Körper bildet Antikörper gegen körpereigene Zellen oder Substanzen; dies führt im Falle der Schilddrüse dazu, dass sie kleiner wird, und die eigentliche Funktion der Hormonproduktion abnimmt, es kommt zu einer Schilddrüsenunterfunktion."

Prof. Klemens Scheidhauer

Einer ‚Entzündung‘ liegt in den meisten Fällen diese Autoimmunerkrankung zugrunde – nur sehr selten ist eine Entzündung der Schilddrüse bakteriell verursacht. Mit der Gabe von Jodtabletten ist eine solche Unterfunktion allerdings nicht zu beheben. Bei der Hashimoto-Thyreoiditis muss die verminderte Funktion der Schilddrüse mit Schilddrüsenhormonen medikamentös ausgeglichen werden.

Auch hinter einer Schilddrüsen-Überfunktion kann sich eine Autoimmunerkrankung verbergen. Bei der Überfunktion ist dies die Krankheit Morbus Basedow. Auch hier werden vom Körper Antikörper gebildet, die sich gegen körpereigene Zelle oder Substanzen richten. Der sog. Morbus Basedow wird mittels Ultraschall und über diese spezifischen Antikörper, die im Blut nachgewiesen werden können, diagnostiziert.

"Beim Basedow’schen Erkrankung ist das ein Antikörper gegen den TSH-Rezeptor. Dieser sitzt auf der Zelle der Schilddrüse und erhält normalerweise über das TSH (das Steuerhormon, das die Hirnanhangsdrüse aussendet) die Aufforderung, Jod aufzunehmen Hormone zu produzieren. Und dieser Antikörper aktiviert nun (quasi am TSH vorbei) diesen Rezeptor, als ob der Körper mehr Schilddrüsen-Hormone bräuchte. In Wirklichkeit gibt es aber eigentlich gar keine Anforderung, der TSH-Wert ist niedrig, denn es ist ja genügend Hormon da! Die Zelle aber reagiert auf den Antikörper genauso wie auf das TSH."

Prof. Klemens Scheidhauer

Der Antikörper umgeht also den Regelkreis zwischen Schilddrüse, TSH und Hypophyse. Es kommt zu einer vermehrten Produktion von Hormonen, eine Überfunktion der Schilddrüse ist die Folge.

"Das ist, wie wenn man einen Dietrich für eine verschlossene Tür verwendet: Es ist nicht der echte Schlüssel, aber man die Tür trotzdem öffnen, die Wirkung ist dieselbe: Die Tür geht auf bzw. – auf die Schilddrüse durch den TSH-Rezeptor-Antikörper: - Hormon wird gebildet." Prof. Klemens Scheidhauer

Ein weiteres Symptom eines Morbus Basedow kann eine Endokrine Orbitopathie sein - eine Schwellung des Fettgewebes wie auch der Muskeln in der Augenhöhle, aber auch an anderen Stellen des Körpers.

"Bei diesen Patienten tritt häufig das Auge nach vorne, es kommt zu Doppelbildern und die Augenlider schließen nicht mehr vollständig; eine solche Schwellung kann sogar eine Erblindung verursachen."

Prof. Klemens Scheidhauer

Auch Herzrhythmusstörungen können die Folge einer Schilddrüsen-Überfunktion sein. Daher wird man zunächst versuchen, die übetschüssige Hormonbildung durch geeignete Medikament, die sog. Thyreostatika zu unterbrechen.

"Um Puls und Blutdruck zu normalisieren, ist zudem häufig übergangsweise die Einnahme von Betablockern notwendig." Prof. Klemens Scheidhauer

Eine ursächliche, systemische Behandlung von Autoimmunreaktionen ist noch nicht entwickelt.

"Man arbeitet in molekulargenetischen Untersuchungen daran, aber leider hat es bisher noch keinen Durchbruch gegeben, dass man diese Immunprozesse verzögern oder unterbrechen könnte. Aber man kennt andere Zusammenhänge bei Immunprozessen, so weiß z.B. sehr genau,  dass Rauchen die Behandlung des Morbus Basedow schwieriger macht. Man weiß auch, dass eine Immunerkrankung der einen Art oft mit einer Immunerkrankung einer anderen Art assoziiert ist."

Prof. Klemens Scheidhauer