Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. September 1829 Ritter v. Nussbaum geboren, Chirurg mit Herz

Er war der Chirurg, der die Herzen der Münchner eroberte: Er behandelte Arme kostenlos, operierte nach einem Beinbruch auf nur einem Bein stehend und beschenkte an Weihnachten die Kinder auf seiner Station: Johann Nepomuk Ritter von Nussbaum, geboren am 2. September 1829.

Stand: 02.09.2010 | Archiv

2. September 1829: Ritter v. Nussbaum geboren, Chirurg mit Herz (2. September 1829)

02 September

Donnerstag, 02. September 2010

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Kurz vor seinem Tod im November 1890 denkt Professor Nussbaum darüber nach, wie er begraben werden möchte. Den Angehörigen schwebt eine Gruft vor, so wie es sich für den berühmten Chirurgen und Ehrenbürger der Stadt München gehört. Aber Nussbaum winkt ab. Gruft kommt nicht in Frage: zu einsam, zu elitär. Er will ein ganz normales Grab - mitten unter seinen lieben Münchnern, wie er sagt.

Die Münchner lieben ihn auch. 20.000 drängen sich am Tag der Beerdigung um den Südfriedhof. Viele von ihnen verdanken dem kühnen, geschickten Operateur ihr Leben. Johann Nepomuk Ritter von Nussbaum, geboren am 2. September 1829, beginnt seine Laufbahn kurz nach der Erfindung der Chloroform-Narkose. Vorher waren Chirurgen wenig geachtet: Sie mussten nur schnell und entschlossen zu Werke gehen und über bis zu neun kräftige Gehilfen verfügen, die den gepeinigten Patienten festhielten. Erst die Narkose ermöglicht schonende Methodenvielfalt, was Erfolg und Ansehen des ganzen Berufstands sprunghaft steigert. Nussbaum operiert sehr erfinderisch. Das kommt nicht zuletzt den verwundeten Soldaten des Deutsch-Französischen Krieges 1870 zugute, denen er nicht nur das Leben, sondern auch Arme und Beine rettet: Seine Geschicklichkeit macht viele Amputationen überflüssig. Nussbaums Briefe aus dem Feld berichten von ungeheuren Strapazen: "Wir fanden keinen anderen Platz als Operationssaal als die ersten Stufen einer Stiege im Winkel eines Hauseingangs", berichtet er. "Gewöhnlich hatte ich nichts zur Hand als mein kleines Verbandszeug, als eine Säge, eine Knochenzange und eine Chloroformflasche ... Alle zwei Stunden muss ich Schürzen waschen, weil sie schwimmen von Blut ... Manchmal muss ich in einem Winkel heftig weinen wie ein schwaches Frauenzimmer, da das Elend zu groß ist, das ich sehe."

Doch nicht nur Gott hilft beim Durchhalten, auch das Morphium. Nussbaum spritzt es sich in großen Mengen und wird auch im Frieden nie mehr davon loskommen. Wenn er den Hörsaal der Universitätsklinik betritt, nobel im Frack gekleidet, sieht man ihm das nicht an: Die Studenten bestaunen einen leidenschaftlichen Wissenschaftler, erfolgreichen Fachautor und mitreißenden akademischen Lehrer. Im Frack mit Leinenschürze und Gummiarmstulpen steht er auch am OP-Tisch. Keiner kann mit seinem Arbeitspensum mithalten. Einmal bricht er sich auf dem Weg in den OP ein Bein und operiert die krebskranke Patientin trotzdem, auf einem Bein stehend.

Die Knochen brechen ihm schnell in den späten Jahren: Folge des Drogenkonsums. Bald schiebt man ihn im Rollstuhl durch die Klinik. Zugewandt und freundlich bleibt er immer: "Ich habe die Menschen, ich habe alle meine Kranken gern", sagte er. Legendär sind seine Sprechstunden, in denen er die Armen kostenlos behandelt. Zum Weihnachtsfest auf der Station versorgt er bedürftige Kinder mit neuen Kleidern, nimmt vorher höchstpersönlich Maß, geschickt wie ein Schneider mit dem Maßband hantierend. Eigene Kinder hat er ja nicht; für Ehe und Familie fehlt die Zeit. In seinen letzten Jahren begeistert er sich für die antiseptische Chirurgie und verteidigt sie gegen alle Skeptiker. Durch regelmäßiges Desinfizieren sinkt endlich die hohe Sterberate in den Krankenhäusern. Den eigenen Verfall aber kann er nicht aufhalten. Das Morphium tötet ihn mit 61 Jahren. Die Münchner haben ihn nicht vergessen: Eine Klinik und eine Straße tragen seinen Namen.


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