4. November 1901 Jugendbewegung "Der Wandervogel" gegründet
Einmal um die ganze Welt und die Taschen voller Geld… na, kann man auch billiger haben, das mit dem Reisen. Allerdings kommt man dann vielleicht auch nur bis zum nächsten Zeltplatz. Autor: Ulrich Trebbin
04. November
Mittwoch, 04. November 2015
Autor(in): Ulrich Trebbin
Sprecher(in): Andreas Wimberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
So ein All-inclusive-Urlaub hat doch was für sich: Man muss sich um nichts kümmern! Das geht mit dem reichhaltigen Frühstücksbufett los, danach vielleicht in der Gruppe Aquatraining oder Zumba, nach dem Mittagessen im Clubrestaurant ein Schläfchen mit anschließendem Tennisspiel und abends wird dann in einem garantiert "landestypischen"Restaurant gespiesen - im besten Fall noch mit Darbietungen von örtlichen Folkloregruppen. Die pure Erholung! Bloß nichts Unvorhergesehenes! Es soll ja alles wie zu Hause sein. Und wenn doch irgendwas nicht gestimmt hat, dann geht man eben hinterher zum Anwalt und nimmt den Reiseveranstalter in Regress.
Aqua Robics, Volleyball und Gästeshow
Vor gut hundert Jahren sehnte sich die Jugend nach anderen Ferien: Man wollte raus aus der stinkenden und ständig wachsenden Stadt! Fort von Fabriken und Schloten! Hinein in die Natur! Also den Tornister geschultert und hinaus auf Schusters Rappen, um dort den frisch betauten Sommermorgen einzuatmen! Abenteuer erleben! Wandern, wiederentdeckte Marsch- und Volkslieder singen und abends mit der Gitarre am Lagerfeuer sitzen! Angenehmer Nebeneffekt: Hier draußen waren die Jugendlichen unter sich: Keine maßregelnden Eltern mehr, die eh nur ans Geldverdienen dachten und im Takt der Industrialisierung atmeten, keine autoritären Lehrer, die alle Lebendigkeit erstickten mit sinnlosem Drill und Langeweile. Hier draußen galten nur noch die Regeln eines frischen, unvorhersehbaren und darum aufregenden Lebens! Hier draußen war man frei wie ein Vogel!
Müllers Lust
So lautete der Name dieser Bewegung denn auch "Wandervogel", gegründet am 4. November 1901 von naturbegeisterten jungen Männern im Ratskeller des Steglitzer Rathauses - das war auch der Beginn der deutschen Jugendbewegung.
Schnell breitete der Wandervogel seine Schwingen über den ganzen deutschsprachigen Raum aus: Nach nur zehn Jahren gab es an die 30 tausend - meist bürgerliche - Jugendliche, die in über 600 Ortsgruppen organisiert waren. Am Wochenende oder in den Ferien zogen sie begeistert hinaus in die Wälder, schlugen auf Lichtungen oder an Flüssen ihre Zelte auf und kamen meist ziemlich verdreckt, aber glücklich und braungebrannt wieder nach Hause. Die Erziehungsberechtigten dürften nicht von allen Begleiterscheinungen des Wandervogelwesens begeistert gewesen sein. Schon gar, als ruchbar wurde, dass die Jungs dort draußen angeblich gewissen - als widernatürlich erkannten - Neigungen frönten. Doch der vermeintliche Skandal ebbte bald ab. Es gab andere Verwerfungen: Man zankte sich über die Frage, ob auch Mädchen mitwandern dürften und Jugendliche aus der Unterschicht, oder ob man bei den Fahrten den Alkoholgenuss besser untersagen sollte. Man spaltete sich und fand wieder zusammen. Doch das Jahr 1933 brachte das Ende des Wandervogels: Jetzt war nur noch die Hitlerjugend erlaubt.
Heute gibt es den Wandervogel wieder, auch wenn er nur noch ein Wander-Vögelchen ist. Immerhin fahren in Deutschland wieder rund tausend Jugendliche regelmäßig am Wochenende und in den Ferien raus aufs Land, um zu wandern und zu zelten: In der Lüneburger Heide oder im Frankenwald, in Serbien oder Kanada. Eine Jugendherberge kommt als Nachtquartier auch heute noch nur im Ausnahmefall in Frage: Wenn es zu schlimm regnet, fragt man einen Bauern nach Unterschlupf im Heuschober - ganz ohne Regress versteht sich.