Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. April 1922 Ein Königsherz fährt nach Altötting

Ein ganzer Zugwaggon war reserviert für die Herzensangelegenheit eines Königs. Am 5. April 1922 fuhr das Herz von Ludwig III., des letzten Königs von Bayern, mit der Eisenbahn nach Altötting. Seit dem 17. Jahrhundert wurden die Herzen der Wittelsbacher eigens bestattet.

Stand: 05.04.2011 | Archiv

Sendung nachhören: Ein Königsherz fährt nach Altötting (05.04.1922)

05 April

Dienstag, 05. April 2011

Autor: Thomas Grasberger

Sprecherin: Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Eisenbahnfahren ist an sich eine feine Sache. Wenn es nicht gerade zu viel Schnee hat. Oder zu viel Sommerhitze. Oder überhaupt zu viel Wetter, egal welcher Art. Auch zu viele Mitreisende können die Fahrfreude trüben, etwa wenn sie mit Hilfe eines Gruppentickets ganze Zugabteile in Beschlag nehmen, so dass der geneigte, aber mangels Sitzgelegenheit bald schon Gram gebeugte Bahnkunde wieder einmal die ganze Fahrt über stehen muss. So was kommt auf klassischen Nebenstrecken seltener vor. Aber es kommt vor. Am 5. April 1922 zum Beispiel. Ein Mittwoch. An sich nicht viel los, zwischen München und Altötting, möchte man meinen.

Von wegen! Um Vorurteilen gleich entgegen zu treten, sei an dieser Stelle gesagt: Es war keine rüstige Rentner-Truppe, die mit dem Senioren-Ticket einen Frühlingsausflug ins Herzen Bayerns machte. Auch keine lärmende Schulklasse, die in Altötting die Vor- und Nachteile 30-jähriger Kriege anhand der geschundenen Knochen des Glaubenskämpfers Tilly studieren sollte. Nein, am 5. April 1922 war es eine Reservierung der ganz besonderen Art; und zwar für einen "Waggon im Zug 935. Abfahrt München: 4 Uhr 55, Ankunft Altötting: 7 Uhr 24." Ausgestellt auf den König von Bayern!

An dieser Stelle müssen wir kurz einhaken, um die Sache zu präzisieren. "König von Bayern" war er eigentlich nicht mehr, der dritte Ludwig. Denn erstens war er im April 1922 schon ein halbes Jahr lang tot. Zweitens war die Monarchie in Bayern seit 1918 ein für allemal abgeschafft. Und drittens war es nicht der ganze König oder Ex-König, der nach Altötting reiste - sondern nur sein Herz.

Das mag verwundern, war aber seit Mitte des 17. Jahrhunderts durchaus bayerischer Brauch. Die Herzen bedeutender Wittelsbacher wurden nämlich getrennt vom restlichen Leichnam bestattet. Während die Körper in der Fürstengruft zu St. Michael oder in der Theatinerkirche von München ihre letzte Ruhe fanden, wurden die Herzen in der Heiligen Kapelle von Altötting beigesetzt. Insgesamt 28 silberne Herzurnen stehen heute dort, Kurfürsten- und Königsherzen sind darunter, Prinzessinnen und Bischöfe. Und sogar ein deutscher Kaiser suchte nach seinem Tod die herzliche Nähe zum Gnadenbild der heiligen Jungfrau Maria.

Altötting war schließlich seit langem der wichtigste Ort bayerischer Volksfrömmigkeit. Und die Wittelsbacher - seit dem 16. Jahrhundert Speerspitze der Gegenreformation - wussten genau, was sie ihrem katholischen Volk schuldig waren. Die Altöttinger Herzensliste liest sich jedenfalls wie das "Who is Who" der neueren bayerischen Geschichte: Kurfürst Maximilian I., Kaiser Karl VII., die Kurfürsten Maximilian III. Joseph und Karl Theodor, die Könige Maximilian I., Ludwig I., Maximilian II. - und natürlich Ludwig der Zweite.

Mit dem Herz des Märchenkönigs begann 1886 auch die Eisenbahnfahrerei. Im königlichen Sonderzug, versteht sich. Damit war nach 1918 freilich schon wieder Schluss. Bei Ludwig III. reichte es nur noch für den reservierten Waggon. Und selbst der erschien manchem bayerischen Republikaner als zu groß, schließlich macht so ein Herz ja nur 0,5 Prozent des Körpergewichts eines Menschen aus.

Ein ganzer Waggon für ein Zweihundertstel von einem toten Ex-Monarchen? Und dafür sollen alle anderen bis Altötting stehen? Nein, so etwas war auf Dauer nicht einmal in Bayern haltbar. Das letzte Wittelsbacher-Herz wurde in Altötting übrigens 1954 bestattet. Es war das von Kronprinzessin Antonia! Seither hat sich einiges verändert. Als Ausrede für Zugverspätungen oder fehlende Sitzplätze bei der Bahn scheiden Herzurnentransporte heute jedenfalls aus. Nur gut, dass wir wenigstens noch das Wetter haben!


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