Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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Kalenderblatt Casanova wird in den Dogenpalast gesperrt

Irgendwann ist auch mal gut – beschließt der Adel in Venedig und macht dem Möchtegern Casanova einen dicken Strich durch die Rechnung. Statt weiter so zu tun, als wäre er einer der ihren, Frauen zu bezirzen, Männern Geld abzuschwatzen, wandert er in den Kerker. Vorrübergehend. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 26.07.2024

26.07.2024: Casanova wird in den Dogenpalast gesperrt

26 Juli

Freitag, 26. Juli 2024

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Geistreich? O ja! Unterhaltsam? Zweifellos! Klug, belesen, elegant, alles richtig. Er hat Manieren, er hat Esprit, er tanzt wie ein Gott, plaudert allen die Ohren rosig, lächelt sich jede und jeden gewogen und trotzdem, - trotzdem ist er ein Hochhinaus, ein Möchtegern. Einer, der auftritt, redet, sich kleidet und gibt wie einer von Adel und doch nicht dazu gehört. Ein Parvenu, den man duldet, weil einflussreiche Gönner den Blender schützen.

Viel hat Casanova tatsächlich nicht erreicht. Er ist dreißig, ohne Stellung, ohne Vermögen, ohne Wappen. Sein Unterhaltungswert belebt die Feste der Aristokratie, doch einer von ihnen? Nie und nimmer! Und sollten jene Gerüchte stimmen, die Venedig durchschwirren, sind auch die Tage der Duldung gezählt.

So heiter geht es nicht weiter

Was man munkelt, was an Gerede über seine Affären, seine Spielsucht, seine Gesinnung umläuft, stachelt den Argwohn der venezianischen Staatsinquisition an. Die mächtige Polizei- und Justizbehörde füttert ein Heer von Zuträgern, um Verräter, Spione, Verschwörer und Saboteure aufzuspüren. Auch auf Casanova setzt sie neuerdings Spitzel an, die bald schon Bedrohliches melden: Der Verdächtige stichelt gegen den Staat, empfängt verdächtigen Besuch, verhöhnt den Glauben, huldigt dem Teufel und bespeit sogar die Heiligste Dreifaltigkeit durch obszöne Spottgedichte.

Aus, Ende, Kittchen

Das reicht, das ist mehr als genug. Im Morgengrauen des 26. Juli 1755 holen Geheimpolizisten Casanova aus dem Bett, filzen seine Wohnung, führen ihn gefesselt ab. Die Staatsinquisition sperrt ihren Gefangenen unter den Bleidächern des Dogenpalastes weg.
Es gibt keine formelle Anklage, keinen Prozess, kein Urteil, nur unbeschränkte Macht und blanke Willkür. Fünfzehn Monate sitzt der Häftling in den berüchtigten Bleikammern ein, die sich absoluter Ausbruchsicherheit rühmen. Bis Casanova den Mythos des unbezwingbaren Kerkers durch eine verwegene, unerhört kaltblütige Flucht zerstört.
Von da an geht’s bergauf. Der spektakuläre Ausbruch macht ihn berühmt. Alle Welt kennt und nennt nun seinen Namen, alle Welt feiert, bestaunt und beklatscht das amüsante Husarenstück. Casanova bereist, betört, entzückt ganz Europa. Briefe und Zeitungen eilen seiner Ankunft voraus. Wo er hinkommt, ist seine Geschichte schon da und will vom Urheber selbst in den Cafés, Casinos und Salons wieder und wieder bestätigt, beschworen und ausgeschmückt werden.

Casanova genießt die Aufmerksamkeit, gibt jedes Detail seiner Festnahme, seiner Gefangenschaft und seines Entkommens freimütig preis. Nur in einem Punkt hält sich der verschwenderische Eigenvermarkter auffällig karg: der wirkliche Haftgrund bleibt ein Rätsel.

Gaben Unzucht, Blasphemie oder Umsturzängste den Ausschlag? Hat ihn ein Nebenbuhler, ein Neider, ein betrogener Gatte ans Messer geliefert? Alles möglich, alles denkbar, alles offen. Doch das ist kein Manko. Das ist die Essenz, darum geht es. Denn nur das Geheimnis ist unerschöpflich. Und keiner wusste das besser als er: der große, unsterbliche Selbsterfinder, Selbsterzähler und Selbstberauschte Giacomo Girolamo Casanova.


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