Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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6. Juni 1880 Seilbahn auf den Vesuv eingeweiht: Funicolare

Der Vesuv ist von Touristen überlaufen - hieß es schon vor über 100 Jahren. Was fehlte, war eine Seilbahn. Doch als die "Funicolare" am 6. Juni 1880 eingeweiht wurde, kam keine Begeisterung auf. Erst ein Werbelied sorgte für Sympathie. Bis heute wird es gern geträllert.

Stand: 06.06.2011 | Archiv

06.06.1880: Seilbahn auf den Vesuv eingeweiht: Funicolare

06 Juni

Montag, 06. Juni 2011

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Den Menschen in seinem Übermut zieht es häufig an Orte, wo er nichts zu suchen hat. Und da wird's dann gefährlich. In den Bergen fällt er runter, am Flussufer wird er überschwemmt, und wer sein Häuschen am Fuße großer Vulkane gebaut hat, der lebt auch nicht ohne Risiko.

Torre del Greco, Ercolano, Trecase: alles Ortschaften im Golf von Neapel, an den Hängen des Vesuv. Dort leben Leute, direkt unter dem Vulkan, sie tun es ohne Sorge, und das, obwohl der Vesuv immer mal wieder ausbricht. Im Jahr 79 nach Christus hat er drei antike Städte samt Einwohnern verschüttet, heute kann man dort die Ruinen besichtigen. Seitdem ist der Berg verhältnismäßig ruhig, das Leben im Golf von Neapel geht seinen Gang, und die Einheimischen verbringen ihre Tage damit, Touristen hinaufzubringen auf den Berg. Im Jahr 1829 hat man schon Klage geführt, der Vesuv sei überlaufen. Man ist damals mit der Lohnkutsche von Neapel bis zum Fuß des Vulkans gefahren, danach ging's per Esel weiter oder zu Fuß. Das allerdings war mühsam. Und so ist ein Bankier im Jahr 1870 auf die Idee gekommen, eine Standseilbahn zu bauen, den Vesuv hinauf, von unten bis fast ganz oben hin. Der Bankier gründete eine Aktiengesellschaft, und ein Ingenieur aus Mailand entwarf eine Bahn im Pendel-System: ein Gleis hin, das andere her, auf jedem Gleis ein Wagen, und der, der abwärts fährt, zieht den anderen nach oben.

Am 6. Juni 1880 wurde die Seilbahn auf den Vesuv, die "Funicolare del Vesuvio", feierlich eingeweiht, und den Leuten - gefiel sie gar nicht. Zum Krater des Vesuv hinaufzufahren, ohne einen Fuß rühren zu müssen: das war unromantisch und machte die einheimischen Führer arbeitslos. Die Bahn, hieß es, nehme den Menschen die Arbeit und dem Berg seinen Zauber. Ein ungünstiger Zustand, der wohl am besten mit ein wenig Propaganda zu beseitigen war. Betreiberfirma und Fremdenverkehrsamt suchten und fanden Abhilfe in der Musik. Der Journalist Peppino Turco und der Komponist Luigi Denza, beide im Golf von Neapel gebürtig, schrieben innerhalb kürzester Zeit einen köstlichen Schlager im Stil eines neapolitanischen Volkslieds. "Gestern Abend, mein Mädchen", hieß es da, "gestern Abend bin ich hinaufgefahren, dorthin, wo das Feuer brodelt und wo dein undankbares Herz mich nicht mehr kränken kann. Ohne einen Schritt zu tun, fahren wir den Berg hinauf, wie der Wind fahren wir, funiculi, funicula, mein Mädchen, und jetzt sei so gut und heirate mich."

Wenig später hat man das neue Werbeliedchen bei einem Fest am Fuße des Vesuv zum ersten Mal aufgeführt. Die Zuhörer waren begeistert, der Verlag Ricordi verkaufte noch im selben Jahr etliche Millionen Exemplare, die Menschen trällerten alle "Funiculi funicula", und die Seilbahn lief und lief, und keiner hatte mehr was dagegen.

Ein ganzes Menschenalter lang hat sie durchgehalten. Im Jahr 1944 ist die Bahn dann bei einem kleineren Ausbruch des Vesuvs zerstört worden, von ihr künden nur noch ein paar Reste und Ruinen. In den 50er-Jahren fuhr man mit einem Sessellift, und heute zieht sich eine Autostraße durch die Hänge des Vesuvs, fast bis an den Kraterrand. Um die Touristen da hinaufzulocken, hat man keinen Schlager gebraucht. Der Mensch von heute trägt sein Musikgut in elektronischen Kleingeräten bei sich, und wer weiß, vielleicht ist sogar unser altes Seilbahnlied drunter. Und da steht er dann am Krater des Vesuv, den tönenden Stöpsel im Ohr, summt leise mit: "Funiculi, funicula", und ahnt nicht, dass er grade mal wieder mit Werbung versorgt wird.


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