Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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11. Juli 1700 Leibniz wird Akademie-Präsident

Das Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz musste sein Geld als Bibliothekar verdienen. Mehr Freude hatte er an der Akademie der Wissenschaften, deren erster Präsident er wurde - am 11. Juli 1700. Autor: Christian Feldmann

Stand: 11.07.2017 | Archiv

11.07.1700: Leibniz wird Akademie-Präsident

11 Juli

Dienstag, 11. Juli 2017

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Er war zweifellos ein merkwürdiger Bibliothekschef, der herzogliche Rat und Hofbibliothekar Gottfried Wilhelm Leibniz in Wolfenbüttel. Denn sobald jemand bei ihm mit dem Ansinnen vorstellig wurde, ein Buch zu entleihen, reagierte der Herr Bibliothekar mit unverhohlenem Unmut. Wie konnte man es wagen, ihn mit solchen Kinkerlitzchen in seinen Gedanken zu stören?

Entsetzliche Langeweile

Zu seiner Ehre muss gesagt werden, dass Leibniz tatsächlich Wichtigeres zu tun hatte: Er sollte für den Herzog von Hannover Bergbau und Volksgesundheit verwalten, mit Windkraft und neuen landwirtschaftlichen Methoden experimentieren, das Militärwesen umorganisieren, diplomatische Verhandlungen führen und juristische Gutachten erstellen, vor allem aber eine möglichst imposante Geschichte des Welfengeschlechts schreiben - und das alles miteinander langweilte den jungen Gelehrten entsetzlich.

Er hatte wirklich Wichtigeres im Kopf. Leibniz dachte über ein durchschaubares Rechtssystem nach, über die Voraussetzungen einer Wiedervereinigung der getrennten Kirchen und eine wirksame europäische Friedensordnung. So nebenbei erfand er ein funktionsfähiges Unterseeboot, eine Rechenmaschine - und die Infinitesimalrechnung, mit der sich heute noch jeder Gymnasiast herumplagen muss. Und weil es für Universalgenies auch damals schon keine Planstellen gab und Leibniz kein luxuriöses Erbe zu verprassen hatte, musste er sich sein Brot eben im Dienst irgendeines kleinen Fürsten verdienen, der kaum begriff, welches Talent er da an seinen Hof gezogen hatte, und jede Woche grimmig fragte, wann denn die Historie des fürstlichen Hauses endlich druckfertig sei. Leibniz´ scharfsinnige Erklärung, Hannover sei ein Teil des Globus und deshalb gehöre die ganze Erd- und Menschheitsgeschichte zu dem ambitionierten Vorhaben, wird den Herzog kaum befriedigt haben.

Letztes Universalgenie

Ach ja, zu diesen hundert Ideen und Projekten gehörte auch die erste Akademie, in der - anders als in London oder Paris - Natur- und Geisteswissenschaften zusammen betrieben werden sollten. Sie wurde tatsächlich gegründet, am 11. Juli 1700 in Berlin, hieß damals noch "Kurfürstlich-Brandenburgische Societät der Wissenschaften", und ihr erster Präsident hieß natürlich Leibniz. Später, als Kurfürst Friedrich zum König in Preußen befördert worden war, nannte sich das Unternehmen Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften.

So eigenartig es klingt: Leibniz, das letzte Universalgenie, hat nie einen Lehrstuhl innegehabt und kein großartiges Standardwerk geschrieben. Was offenbar gar nicht so wichtig ist: Jeder Computer auf der Welt benutzt das von ihm entwickelte fantastisch einfache "binäre Zahlensystem", das mit den beiden Ziffern 0 und 1 auskommt. Seine Visionen von einer Kirchenunion blieben ein heilsamer Stachel im Fleisch der Christenheit. Und was er über den Weltfrieden auf der Basis eines vernünftigen Interessenausgleichs schrieb, hat so zaghafte Pflänzchen einer übernationalen Friedensordnung wie den Völkerbund und die UNO befruchtet.

Ganz ohne Lehrstuhl und Mitarbeiterapparat, wie gesagt.


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