11. September 1908 Anfang vom Ende des Fahrstuhlführers
Fahrstuhlführer - sogar zum Aufzugfahren brauchte man einst beherzte Profis, bis die Reise nach oben plötzlich ohne Liftboy auskam. Mit dem 11. September 1908 fand ihn sogar die deutsche Bau-Polizeiverordnung überflüssig. Autor: Michael Reitz
11. September
Montag, 11. September 2017
Autor(in): Michael Reitz
Sprecher(in): Luise Kinseher
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Wer heute von einem Fahrstuhl befördert wird, braucht kein technisches Wissen. Man betritt den Lift, drückt auf einem Tableau das gewünschte Stockwerk und kommt mit ziemlicher Sicherheit auch dort an. Dass dies nicht immer so war, belegt unter anderem Thomas Manns Roman "Felix Krull": Sein Held, ein liebenswerter Hallodri, beginnt seine Laufbahn als Liftboy oder auf Deutsch: als Fahrstuhlführer. Anfang des 20. Jahrhunderts ein Beruf, für den man eine Ausbildung absolvieren und eine Prüfung ablegen musste - dem aber gleichzeitig eine ausgesprochen kurze Lebensdauer beschieden war. Denn am 11. September 1908 begann der Anfang vom Ende des Berufsbildes "Fahrstuhlführer". Was war geschehen?
Ohnmachtsanfälle und Panikattacken
Erfunden wurde der Aufzug von dem Amerikaner Elisha Otis, er hatte ihn auf der New Yorker Weltausstellung 1854 präsentiert. Schnell setzte sich die neue Erfindung auch in Deutschland durch, die jedoch einen Haken hatte: Der Lift musste von Hand bedient werden. Mittels einer Kurbel oder eines Hebels im Aufzugskorb wurde ein Flaschenzugmechanismus in Gang gesetzt, der alles andere als präzise war. Oft kam es vor, dass beim Öffnen der Tür der Fahrgastraum nicht mit dem jeweiligen Stockwerk bündig abschloss, Unfälle durch Stolpern beim Aussteigen waren an der Tagesordnung, denn ungeübt war niemand in der Lage, ohne Unterbrechung diese Maschine zu bewegen; und wer den Schwarzen Peter gezogen hatte, weil er die Kurbel bedienen musste, war tatsächlich bedient.
Im deutschen Kaiserreich sorgte eine Verordnung gegen Ende des 19. Jahrhunderts für Abhilfe. Mit ihr wurde verfügt, dass Fahrstühle nur noch von einer eigens dazu ausgebildeten Person bedient werden durften: Der Beruf des Fahrstuhlführers war erfunden. Sehr bald entwickelten sich unter den Kollegen regelrechte Wettkämpfe, wer am reibungslosesten und genauesten seine Fahrgäste ans Ziel brachte. Fahrstuhlführer wurde zu einem Amt, das ausgesprochenes Geschick und Fingerspitzengefühl verlangte, vor allem, wenn es abwärts ging.
Denn oft genug hatten ungeschickte Hausbewohner den Fahrkorb einfach hinuntersausen lassen, um ihn dann abrupt abzubremsen - was regelmäßig zu Ohnmachtsanfällen und Panikattacken bei den Damen führte. Fahrstuhlführer dagegen wurde zu einem Beruf mit Renommee. Auch sie waren, preußischer Sitte gemäß, uniformiert.
Das Aus per Knopfdruck
Doch dann kam ein Ereignis, das die Fahrstuhlführer fast über Nacht auslöschte: Die Firma Siemens erfand den Druckknopf. Das revolutionierte die Fahrstuhltechnik, denn nun begann der Siegeszug des elektrisch betriebenen Lifts, der wesentlich schneller war als handgesteuerte. Der Mann an der Kurbel war überflüssig. Diese für viele Fahrstuhlführer schmerzhafte Entwicklung wurde zementiert mit der Bau-Polizeiverordnung vom 11. September 1908: Sie entfernte die Notwendigkeit eines Fahrstuhlführenden aus dem deutschen Gesetz. Zwar galt diese Bestimmung nicht für Hotel- und Geschäftsgebäude, doch "Fahrstuhlführer" wurde nach und nach zu einer Profession mit Exotenstatus. Bis heute.