Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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13. September 1933 Hitler propagiert das Winterhilfswerk

"Unsere Groschen schaffen die Munition im Kampf gegen Hunger und Kälte" - so schrieb eine Zeitung, nachdem Hitler am 13. September 1933 das Winterhilfswerk propagiert hatte. Bald raunte man aber, dass mit den hunderten Millionen von Reichsmark auch Munition für die Aufrüstung bezahlt wurde.

Stand: 13.09.2010 | Archiv

13. September 1933: Hitler propagiert das Winterhilfswerk (13. September 1933)

13 September

Montag, 13. September 2010

Autor(in): Herbert Becker

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

"Für vier Personen nehme man: Drei Viertel Pfund Rauchfleisch, drei Viertel Pfund weiße Bohnen, zwei Würfel Maggis Familiensuppe, zwei Pfund Kartoffeln, fein gehackte Petersilie und eineinhalb Liter Wasser."

Kenner merken sofort, dass dieses Rezept für einen Familien-Eintopf weder von Jamie Oliver noch von einem anderen populären Fernsehkoch stammt. Besonders die Maggi-Würfel lassen darauf schließen, dass es sich hier nicht um den Inbegriff der Haute Cuisine handelt. Tatsächlich war das Rezept Ende 1933 in einem Lokalblatt abgedruckt. Damals waren Eintopfgerichte in aller Munde - auf Wunsch des NS-Regimes.

Weite Teile der deutschen Bevölkerung litten bittere Not, und es war absehbar, dass der Winter die Situation verschlimmern würde. Da wurde das so genannte Winterhilfswerk ins Leben gerufen. Eine Feierstunde am 13. September 1933 mit Reden von Reichskanzler Adolf Hitler und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels stellte den Auftakt dar. Ziel war die Einlösung des Versprechens, das weit verbreitete wirtschaftliche und soziale Elend rasch zu beseitigen. Spendenlisten wurden ausgelegt, Firmenbelegschaften erklärten sich bereit, auf einen Teil ihrer Löhne zu verzichten, ehrenamtliche Helfer gingen mit Sammelbüchsen von Haus zu Haus. Außerdem sollten alle Deutschen am jeweils ersten Sonntag der Monate Oktober bis März ein Eintopfgericht essen; das war billig, und das gesparte Geld konnte wiederum der Hilfsaktion zur Verfügung gestellt werden.

"Jeder gibt!", schrieb eine Zeitung. "Unsere Groschen schaffen die Munition im Kampf gegen Hunger und Kälte. Der Arbeitslose braucht keine Almosen mehr! Das ganze deutsche Volk opfert, um ihm zu helfen!"

Das Hilfsprogramm brachte dem NS-Regime gleich mehrere Vorteile. Zum einen förderte es das Zusammengehörigkeitsgefühl der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, zum anderen konnte der Staat seine Ausgaben für Sozialpolitik senken und das Geld für anderweitige Zwecke nutzen. Für die Aufrüstung zum Beispiel. Dem entsprechend meinte der Volksmund alsbald, die Abkürzung WHW stehe nicht für "Winterhilfswerk", sondern für  "Waffenhilfswerk".

Mehr als 358 Millionen Reichsmark brachten die Spendenaufrufe im ersten Jahr ein. Im zweiten Jahr war es fast das Doppelte - nur mit der Freiwilligkeit war es nicht mehr arg weit her. Die Sammelbüchsen wurden zur Landplage, den Arbeitern zog man die Spende gleich vom Lohn ab, und wer dem entgehen wollte, musste mit Sanktionen rechnen. Jene aber, die Gemüsetopf mit Pökelfleisch, Nudelsuppe mit Wurst- oder Löffelerbsen mit Schweineohr-Einlage verschmähten, stellten sich von vorn herein auf die Seite der Regimegegner. Da wundert es niemanden, wenn das Volk behauptete, das am weitesten verbreitete Eintopfgericht seien "Gedämpfte Zungen".

Inzwischen ist das Verordnen von Eintopfgerichten als Mittel der Sozialpolitik abhanden gekommen. Heute versucht man der Armut eher durch die Ankurbelung des Konsums entgegenzuwirken. Vor diesem Hintergrund wäre es vielleicht gar nicht verkehrt, dem Volk einmal im Monat die Einnahme eines etwas aufwendigeren Gerichts vorzuschreiben. Zum Beispiel könnte man das oben genannte Rezept ein wenig variieren. Etwa so: Man nehme statt des Rauchfleisches zwei Hummer à sechshundert Gramm, statt der Maggiwürfel eine Weißweinsauce, die Kartoffeln ersetze man durch Trüffel, das Wasser durch Olivenöl. Außer der Petersilie gebe man noch Pfefferminze und Knoblauch hinzu, und das Ganze reiche man zusammen mit einem schönen Chardonnay Grand Cru.

Zu üppig? Ja, nun, Entschuldigung. Aber Politik erfordert halt gelegentlich kleine Opfer. 


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