Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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17. Dezember 1963 Erstes Passierscheinabkommen

Funkstille herrschte zwischen West- und Ostberlin nach dem Bau der Mauer. Dann riss der West-Berliner Bürgermeister Willy Brandt einen Brief aus Ostberlin auf. Am 17. Dezember 1963 kam es zur Unterzeichnung des ersten von vier Passierscheinabkommen.

Stand: 17.12.2010 | Archiv

17. Dezember 1963: Erstes Passierscheinabkommen

17 Dezember

Freitag, 17. Dezember 2010

Autor(in): Gabriele Bondy

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

"Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde ..." konstatierte Goethe angesichts der beschwerlichen Vielstaaterei seiner Zeit. Rund 150 Jahre später - angesichts der soeben errichteten "Berliner Mauer" hegten die Deutschen wesentlich weniger Zuversicht, was dieses Thema betraf. Der "eiserne Vorhang" schien endgültig gefallen und der dritte Weltkrieg näher als die Wiedervereinigung zu sein.

In Krisenzeiten sind Politiker gefragt, die zu Visionen und kühlem Denken befähigt sind, Emotionen mit Realitätssinn verknüpfen können und Hoffnung und Glaubwürdigkeit verbreiten. Ein solcher war Willy Brandt, der damalige Regierende Bürgermeister von West-Berlin. Konservative Kräfte in der Regierungshauptstadt Bonn nannten ihn schlichtweg einen Spinner. Zu Beginn der 1960er-Jahre war der "Kalte Krieg" zwischen Ost und West auf seinem  Höhepunkt. Bundesrepublik und DDR pflegten keine offiziellen Kontakte und verweigerten die gegenseitige staatsrechtliche Anerkennung. Bis zum Bau der von östlicher Seite als "Schutzwall gegen den westlichen Imperialismus" bezeichneten Mauer war Berlin eine offene Stadt gewesen. Bürger und Bürgerinnen konnten zwischen Ost- und Westteil hin und her pendeln, einander besuchen, einkaufen, sich vergnügen und arbeiten. Die Mauer riss Familien, Freunde und Kollegen auseinander. Versuche seitens der westlichen Alliierten und neutraler internationaler Institutionen, humanitäre Erleichterungen zu erreichen, waren bislang gescheitert.

Alle Briefe zwischen Ost- und West-Berliner Amtsinhabern wurden ungeöffnet an den Absender zurückgeschickt - bis zu dem Tag, als Willy Brandt ein Schreiben des stellvertretenden DDR Ministerpräsidenten Alexander Abusch erhält: Brandt öffnet den Brief und begeht damit einen Tabubruch. Das weiß er und auch, dass er im krassen Widerspruch zu den "ängstlich Ostkontakte Verhinderern" in der Bonner Regierung handelt. Das Schreiben enthält das Angebot Ost-Berlins, über eine Passierscheinregelung zu reden. Brandt und seine Berater - allen voran Egon Bahr - sind entschlossen, die Chance zu nutzen, während Bundeskanzler Ludwig Erhardt vor dem "Ausverkauf Deutschlands" warnt.

Am 17.Dezember 1963 wird das erste von vier Passierscheinabkommen vom Senatsrat Horst Korber und dem DDR-Staatssekretär Erich Wendt unterzeichnet. Es erlaubt den West-Berlinern über Weihnachten und Neujahr 1963/64, ihre Verwandten im Ostteil der Stadt zu besuchen. Hatte die DDR mit 30.000 Besuchern gerechnet, so kamen 700.000 Menschen zu 1,2 Millionen Besuchen. Neben den begehrten West-Mitbringseln - Kaffee, Schokolade, Kaugummi und Jeans-Hosen - hatten die West-Berliner die Angst im Gepäck, dass die "Russen" eines Tages ganz Berlin "schlucken" würden. Die legte sich erst, als die Mauer fiel.

Übrigens: Bei den West-Berliner Passierscheinstellen waren ja keine ostdeutschen Polizeiangehörigen geduldet worden. Deshalb schickte man mit Uniform und Dienstausweis legitimierte Angestellte der "Deutschen Post". Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich bei denen um "verkleidete" Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Nichtsdestotrotz gilt das erste von vier Passierscheinabkommen als Beginn einer neuen Ost-Politik, dem viel beschworenen "Wandel durch Annäherung".


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