18. Oktober 1956 Werner Forßmann, Nobelpreis für Herzkatheter
Er solle doch zum Zirkus gehen, riet Chirurgen-Legende Sauerbruch dem jungen Arzt Werner Forßmann. Der hatte sich im Selbstversuch den ersten Herzkatheter gelegt. Dafür bekam er den Medizin-Nobelpreis. Autor: Hellmuth Nordwig
18. Oktober
Mittwoch, 18. Oktober 2017
Autor(in): Hellmuth Nordwig
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Was eine hübsche Krankenschwester und ein junger Arzt so in der Mittagspause treiben, wenn keiner dabei ist - das hat manchmal Folgen. In schwülstigen Groschenromanen genauso wie im richtigen Leben. Da wäre etwa ein Vorkommnis, das sich im Jahr 1929 im Auguste-Viktoria-Krankenhaus im brandenburgischen Eberswalde zugetragen hat. Dort läuft dem 25-Jährigen Arzt Werner Forßmann mittags die Operationsschwester Gerda Ditzen über den Weg. Sie kommt ihm wie gerufen. Er vergewissert sich, dass sie beide allein sind und bittet um Instrumente für eine Lokalanästhesie. Ohne zu zögern beginnt er damit, seine eigene linke Armbeuge zu betäuben. Plötzlich ist der Schwester klar, was gleich passieren wird. Hat der junge Arzt doch seit Wochen fanatisch darüber gesprochen, sich selbst einen dünnen Schlauch von dieser Stelle aus bis in sein Herz zu führen. So ähnlich wie es bereits damals die Urologen tun: Sie schieben Katheter über die Harnröhre in die Blase und zu den Nieren. Aber das Herz gilt als tabu für solche Eingriffe. Der Klinikchef hatte Forßmann deshalb seinen verwegenen Plan ausdrücklich untersagt.
Zentimeter für Zentimeter gleitet der Schlauch nach oben
Die Krankenschwester beobachtet den Arzt entsetzt und fasziniert zugleich. Damit er nicht gegen das Verbot verstößt, bietet sie sich kurzerhand selbst als Versuchskaninchen an. Werner Forßmann willigt ein und bittet sie, sich für die geplante Betäubung auf den Operationstisch zu legen. Was dann folgt, hat sich die Schwester aber sicher anders vorgestellt: Blitzschnell schnallt sie der Arzt an der Liege fest. Ihr empörter Protest verhallt ungehört. So kann Forßmann in aller Seelenruhe damit beginnen, sich einen Blasenkatheter - andere gibt es zu jener Zeit nicht - in die Armvene zu schieben. Mit Olivenöl gefettet, gleitet der Schlauch innerhalb seines Arms nach oben: zehn Zentimeter, zwanzig, dreißig. Erst jetzt befreit Werner Forßmann die immer noch schimpfende Schwester Gerda, versteckt den Katheter unter einem Tuch und macht sich auf den Weg in den Keller, wo das Röntgengerät steht. Hier vollendet er seinen Selbstversuch: vierzig Zentimeter, fünfzig, fünfundsechzig. Die rechte Herzkammer ist erreicht.
Ein eilig herbeigerufener Kollege hält Werner Forßmanns Erfolg mit einem Röntgenbild fest, das berühmt werden sollte.
Grenzen überschritten?
Für seine Fachkollegen dokumentiert dieses Bild aber vor allem, dass Forßmann ein impulsiver Hitzkopf ist, der nach eigenem Gutdünken Grenzen überschreitet. Seine Karriere hat er durch den gewagten Selbstversuch vereitelt. Wo auch immer er sich bewirbt, blitzt der junge Arzt ab: Er könne ja zum Zirkus gehen, aber nicht an eine anständige deutsche Klinik, spottet der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch. Dass Forßmann seine Selbstversuche fortsetzt, bis es ihm gelingt, Kontrastmittel ins Herz zu spritzen, macht die Sache nicht gerade besser. In Deutschland ist sein Ruf ruiniert. Anders in den USA: Dort erkennen Ärzte rasch das Potenzial des Herzkatheters. An der Columbia-University in New York entwickeln sie die Technik weiter für den Einsatz an Patienten. Heute rettet der Schlauch ins Herz jedes Jahr Zehntausenden nach einem Herzinfarkt das Leben. Grund genug für das Nobelpreiskomitee, am 18. Oktober 1956 zwei New Yorker Professoren mit der höchsten Ehrung der Wissenschaft auszuzeichnen - und den nahezu vergessenen Werner Forßmann. Der hatte es wegen einer Mittagspause mit Schwester Gerda nicht weiter gebracht als zu einer Praxis in Bad Kreuznach.