Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Juli 1930 Elly Maldaque stirbt in Nervenklinik

Als Lehrerin ist sie einfühlsam, als Sinnsucherin übersensibel. Doch als sie auf die Gerechtigkeitshoffnungen des Marxismus stößt, trifft sie die ganze Wucht des kommunistenfeindlichen Systems. Am 20. Juli 1930 stirbt Elly Maldaque in der Regensburger Irrenanstalt.

Stand: 20.07.2011 | Archiv

20.07.1930: Elly Maldaque stirbt in Nervenklinik

20 Juli

Mittwoch, 20. Juli 2011

Autor(in): Christian Feldmann

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Im Herbst 1929 ging ein verhängnisvoller Polizeibericht über eine in Regensburg unterrichtende Lehrerin an Kreisregierung, Innenministerium und Münchner Polizeidirektion: Elly Maldaque, so hieß die gefährliche Dame, betätige sich in der Ortsgruppe der Kommunistischen Partei und habe bei einer Revolutionsfeier Klavier gespielt. Vier Monate später durchsuchte man ihre Wohnung - ohne ihr strafbare Handlungen nachweisen zu können. Wieder drei Monate später wurde sie fristlos aus dem Schuldienst entlassen. Begründung: linke geistige Einstellung. Drei Wochen darauf, nach einem Nervenzusammenbruch, starb Elly Maldaque am 20. Juli 1930 in der Regensburger Irrenanstalt, wie das damals hieß.

Als sie zehn Jahre alt war, hatte man die bayerischen Hochschulen und Lehrerbildungsanstalten für Frauen geöffnet. Seit 1913 arbeitete sie im Schuldienst, in Oberpfälzer und Württemberger Gemeinden, an Privatschulen in Traunstein und Nürnberg, zuletzt an der protestantischen Von-der-Tann-Schule in Regensburg. Ihre Schülerinnen vergötterten die Pädagogin, die sich für ihre Probleme interessierte und jede beim Vornamen anredete, was damals höchst ungewöhnlich war. "Tatzen" - Schläge mit dem Rohrstock - gab es bei der Maldaque nie.

Ihre wenigen erhaltenen Briefe und Tagebücher zeichnen das Bild eines weiblichen Parzival, einer übersensiblen Sucherin, deren Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen immer etwas von verwundertem Staunen an sich hat. Mehr haltloses Weinen über die Welt als selbstgewisses Trommeln für ein Parteiprogramm. "Das Leben scheint mir sinnlos, wenn kein Inhalt es füllt", schreibt sie wie ein träumender Backfisch in ihr Tagebuch. "Die Ehe ist mir nicht mehr das Erstrebenswerte, die Familie ist mir mehr die Stätte des Egoismus und vieler Lebenshemmungen als die Quelle der Erholung und des Fortschritts."

Selbstdenkerin will sie bleiben, auch als sie im Kommunismus die Hoffnung auf eine gerechtere Welt gefunden hat. "Gebt den Menschen ihre Rechte und sie werden alle gut sein", schwärmt sie, verweigert sich aber hartnäckig der Parteidoktrin und bekennt, es grause ihr vor der "krassen Nüchternheit des Materialismus". Dennoch berichten Spitzel, die man im Haus gegenüber einquartiert hat, schreckliche Dinge: Die Maldaque habe eine waschechte Kommunistin bei sich übernachten lassen, Mitgliedern des Rotfrontkämpferbundes Gesangsunterricht erteilt und ein Lenin-Bild in ihrer Wohnung aufgehängt!

Im Juni 1930 - zwei Monate später wäre sie verbeamtet worden und hätte Versorgungsansprüche gehabt - erhält Elly Maldaque ihr Entlassungsschreiben. Begründung: Zugehörigkeit zu einer auf den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Ordnung hinarbeitenden Bewegung. Was genau ihr vorgeworfen wird, erfährt sie nie.

Das schon immer filigrane Nervensystem der Sechsunddreißigjährigen bricht zusammen. Sie fühlt sich verfolgt, sieht überall Spione. In der städtischen Irrenanstalt pumpt sie der Arzt mit Medikamenten voll, lässt sie ans Bett fesseln und zwangsernähren, sucht nach irgendwelchen Organschäden, statt sich für die Katastrophe in der Seele seiner Patientin zu interessieren. Am 20. Juli 1930 ist Elly Maldaque tot: Herz- und Lungenversagen. "Herzgewicht: 180 Gramm!" steht handschriftlich auf der Krankenakte vermerkt. Elly Maldaques schwaches, kleines Herz hat die Angst nicht mehr ertragen.

Der emigrierte österreichische Dramatiker Ödön von Horvath, scharf blickender Chronist der faschistoiden Kleinbürgerseele, recherchierte den Fall genau. Sein Dramenfragment "Die Lehrerin von Regensburg" wurde in den Schubladen "Frühwerk" und "politische Literatur" abgelegt und erst 1976 im Staatstheater Wiesbaden aufgeführt.


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