23. April 1988 Daedalus 88 fliegt von Kreta nach Santorin
Kann ein Mensch das schaffen? Von Kreta nach Santorin zu fliegen - nur mit eigener Muskelkraft? 115 Kilometer übers offene Meer? Kanellos Kanellopoulos versuchte es, am 23. April 1988, im Spezialflugzeug Daedalus 88.
23. April
Mittwoch, 23. April 2014
Autor(in): Thomas Morawetz
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Julia Zöller
Kreta, der Flughafen von Iraklion. Seit Tagen wartet das Team auf gutes Wetter. Dann endlich, am Morgen des 23. April 1988, gleitet das Fluggerät über die Klippen hinaus aufs offene Meer. Daedalus 88 heißt das Flugzeug. Es wird angetrieben nur von der Muskelkraft eines einzigen Menschen. Länge: gut acht Meter, Flügelspannweite: 34 Meter! 34! Zwei Meter mehr als eine Boeing 727!
In der Pilotenkanzel sitzt mit 72 Kilo der schwerste Teil des Experiments: ein Mann, Kanéllos Kanellópoulos, mehrfacher griechischer Radrennmeister. Er will das Ungetüm übers Meer radeln von Kreta nach Santorin - durch die Luft! Die Strecke ist 115 Kilometer lang!
So anstrengend wie zwei Marathonläufe
Kurz könnte man sich fragen: wozu das Ganze? Aber nur kurz, denn die Antwort ist sonnenklar: Kanellópoulos ist Grieche, und verrückte Leute, die die Götter nerven, sind griechisches Nationalerbe. Wie in der Geschichte von Daedalus, der will mit seinem Sohn Ikarus von Kreta fliehen. Also baut er Flügel aus Vogelfedern und Wachs. Doch Ikarus kommt mit seinen Wachsflügeln der Sonne zu nah und stürzt ins Meer. Der Vater dagegen schafft es bis nach Sizilien.
So der Mythos. Doch sollte der Mensch auch in Wirklichkeit aus eigener Kraft fliegen können?
Forscher vom Massachusetts Institute Of Technology wollten es genau wissen.
Vier Jahre lang rechnen und testen die Konstrukteure, und am Ende steht die Frage: Wer kann fliegen? Ein normaler Mensch nämlich nicht. Um Flugzeug und Pilot über 115 Kilometer zu transportieren, ist eine doppelt so große Leistung nötig wie für einen Marathonlauf.
Zuerst wird also ein spezieller Energiedrink entwickelt. Danach knallharte Auswahltests unter Extremsportlern, anschließend wochenlanges Training. Nur fünf Flugfähige schaffen es bis nach Iraklion. Jeden Tag wartet ein anderer Pilot auf das richtige Wetter. Am 23. April `88 ist es soweit: Jetzt oder nie. Der Pilot des Tages - Kanellópoulos.
Der Mann ist Grieche
Alle Berichte bezeugen: Kanellópoulos hatte Rückenwind. Aber das ist bedeutungslos, denn Kanellópoulos ist Grieche. Er fliegt durch Zeus´ Luft und über Poseidons Meer. Und aus dem Mythos weiß man, dass es nur an den beiden liegt, ob er ankommt oder nicht. Man kann sie förmlich hören. Poseidon: Wer fliegt da über mein Meer? - Zeus: Kanellópoulos, in einem amerikanischen Flugzeug. - Aha. Was sind Amerikaner? - Das sind Leute, die sagen, wir schaffen das, und dann schaffen die das, und am Ende kriegen sich der schönste Mann und die schönste Frau. - So? Was für ein kindisches Weltbild. - Wir sollten unseren Mann auf Griechisch fliegen lassen. - Heißt das, wir schmeißen ihn ins Wasser? - Hm. Mal sehen.
Kanellópoulos tritt und tritt und tritt. Durchschnittliche Flughöhe: gut 10 Meter. Treten, treten, treten. Plötzlich - Santorin in Sicht! Der Strand! Hunderte begeisterter Leute! Dann der Schrecken! Nur zehn Meter vorm Ufer - eine Böe erfasst das Flugzeug, das Hinterteil bricht, und Kanellópoulos stürzt ins Meer!
Dann erneuter Jubel! Kanellópoulos taucht aus den Wellen auf und schwimmt aus eigener Kraft auch noch an Land. Nach dieser Gewaltanstrengung!
115 Kilometer durch die Luft geradelt in drei Stunden und 54 Minuten. Absoluter Rekord. Ja, mit Rückenwind. Aber wen interessiert das? Der Mann ist Grieche.