13. Januar 1911 Arbeitsloser Marinekoch sticht mit Messer auf einen Rembrandt ein
Als ein niederländischer Schiffskoch 1911 seine Stelle verliert, lässt er seinen Unmut an Rembrandts Gruppenportrait "Die Nachtwache" aus. Doch war es vielleicht nicht nur Empörung über die verlorene Stelle, sondern auch über eine verpasste Chance als Künstler? Eine Spekulation. Autorin: Inés Peyser-Kreis
13. Januar
Montag, 13. Januar 2025
Autor(in): Inés Peyser-Kreis
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Es ist Freitag, 1 Uhr mittags in Amsterdam und ein Marinekoch wetzt sein Messer. Keine ungewöhnliche Vorstellung, nicht wahr? Man mag sich schon ausmalen, was auf den Tellern der hungrigen Seemänner an diesem 13. Januar 1911 landen wird. Vielleicht ein deftiger Kartoffeleintopf? Oder ein nahrhaftes Fleischgericht? Doch nein. Denn dieser Koch steht gar nicht in der Schiffsküche. Sondern in einem Museum. Im Amsterdamer Rijksmuseum. Und er geht strammen Schrittes auf Rembrandts überdimensionales Gemälde "Die Nachtwache" zu. Behände springt er über die Absperrung, da entdeckt ihn ein Wachmann, doch zu spät – schon hat unser Marinekoch dem Hauptmann und dem Leutnant von Rembrandts Bürgerwehr einen Stich versetzt. Der Schiffskoch war nämlich kurze Zeit vorher ausgemustert worden. Entlassen. Diese Aktion sollte sein Hilfeschrei sein.
Das Messer als Pinsel
Und: Dieser Angriff bleibt nicht der einzige in der Geschichte auf Rembrandt van Rijns weltberühmte Nachtwache. Einmal noch sticht ein Lehrer darauf ein, ein anderes Mal sprüht ein geistig Verwirrter Schwefelsäure auf das Ölgemälde. Doch nie wieder hat jemand die Nachtwache mit demselben Instrument attackiert, das er auch tagtäglich in seinem Beruf verwendet – oder in diesem Fall: einstigen Beruf. Dieser uns namenlose Koch, der tagtäglich in der Kajüte mit dem Kochmesser Gemüse und Kartoffeln schnitt, verlor seine Stelle – und verging sich danach mit eben so einem Messer an der Kunst. War für ihn der Schnitt in die Leinwand nur eine Verlängerung seines Schnitts in den Kabeljau? Sah er vielleicht eine Verwandtschaft zwischen sich und Rembrandt – beides Künstler, einer malend mit dem Pinsel, der andere mit dem Messer. Und nun wollte dieser Koch auch einmal Kunst schaffen, die gesehen und gewürdigt wird.
Es fällt nicht schwer zu glauben, dass ihm als Koch innerhalb des Militärs nicht die größte Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Da dient schon Rembrandts Gemälde als beste Veranschaulichung. Die Darstellung einer Bürgerwehr: starke, heroisch skizzierte Männer, die Schwerter gezückt zum Kampf. Doch wer auch immer ihnen die letzte Mahlzeit servierte, um ihnen erst zu dieser Stärke zu verhelfen? Weit und breit nicht auf dem Gemälde zu sehen…
In jeder Schiffsküche ein Künstler
Kunsttheoretiker Peter Kubelka formuliert es so: "Jede Familie, wo regelmäßig gekocht wird, beherbergt mindestens einen Künstler." Jede Familie? Dann wohl auch jedes Schiff. Und die Marine tat vielleicht den Fehler, genau den einen aus ihren Reihen zu werfen, der die wahnwitzigsten Ambitionen zum Künstlersein hatte.
Besonders folgenträchtig war die Attacke des verkannten Künstlers schlussendlich gar nicht: Nur einen halben Millimeter Tiefe hatte der Schnitt seines spitzen Pinsels. Nach einer kurzen Behandlung war sein Eingriff in die Kunstgeschichte rückgängig gemacht und die Nachtwache wieder in ihrer alten Pracht im Rijksmuseum zu sehen. Der Täter allerdings wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt. Und so sehr man es ihm womöglich auch wünschen mag: In dieser Haft hatte er wohl noch weniger Zugriff zum Ausüben seiner vielleicht so geliebten Kochkunst.