23. Dezember 1905 Walther Nernst behauptet Unerreichbarkeit des absoluten Nullpunkts
Nichts ist unmöglich? Erst recht in der Natur? Von wegen! Perfekte Ordnung, und die bräuchte man etwa für den absoluten Nullpunkt, gibt es schon mal nicht. Autor: Hellmuth Nordwig
23. Dezember
Freitag, 23. Dezember 2016
Autor(in): Hellmuth Nordwig
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Wir schaffen das nicht!" - Was für eine Botschaft am Vortag des Heiligen Abends 1905: Den absoluten Nullpunkt der Temperatur, den werden wir niemals erreichen. Ihm sehr nahe kommen, das ja, aber ganz bis dorthin eben nicht. 273 Komma eins fünf Grad unter Null: Dieses Ziel ist unzugänglich. Das ist so, als würde jemand sagen: Den Nordpol, den gibt es zwar, und ihr könnt auch hingehen, aber genau auf dem Pol zu stehen, das ist nicht möglich.
Nernstsche Effekte
Walther Nernst heißt der Mann, der diese Behauptung an jenem winterlichen Samstag aufstellt. Wie immer im eleganten Ausgehrock, mit gestreifter Krawatte, auf der Nase die bügellose Rundbrille und unter ihr sein üppiger Schnauzbart. Der 41-Jährige ist Naturwissenschaftler. Genauer muss man das damals nicht wissen. Als Nernst seine These vor der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen vorträgt, ist er längst ein angesehener Gelehrter im Bereich der Elektrochemie und der Wärmelehre. Nach ihm ist bereits eine Gleichung benannt, es gibt einen Nernstschen Effekt, eine dito Regel, und auch das Nernstsche Gesetz kennt schon damals jeder angehende Naturforscher.
Göttingen ist Ende 1905 für Walther Nernst fast noch ein Heimspiel. Fünfzehn Jahre lang hat er an der Universität der preußischen Stadt gelehrt, ihr aber wenige Wochen zuvor den Rücken gekehrt. Und zwar am Steuer eines der ersten Göttinger Automobile, mit dem er in seine neue Wirkungsstätte Berlin übersiedelt ist. Autos werden eine seiner Leidenschaften bleiben, die Jagd ist eine andere. Wenig zimperlich ist der Gelehrte auch mit seinen Schülern. "Kronos" nennen sie ihn, nach dem griechischen Gott, der seine Söhne verschlingt. Walther Nernst weiß, was er will, und ihm ist jedes Mittel recht, um seine Ziele zu erreichen.
Die Natur ist und bleibt unordentlich
Nur der absolute Temperatur-Nullpunkt bleibt unerreichbar. Dass es den gibt, hat der Franzose Joseph Louis Gay-Lussac schon hundert Jahre vor Nernst behauptet. Seine Beobachtung: Erwärmt man ein Gas, zum Beispiel in einem Ballon, dehnt es sich aus. Und umgekehrt: Kühlt man das Gas ab, schrumpft der Ballon - pro Grad immer genau gleich viel. Das geht aber nicht ewig so weiter, denn irgendwann ist das Volumen Null erreicht, und weniger geht nicht. Das ist der absolute Nullpunkt. Wo der liegt, das hat übrigens schon Gay-Lussac ziemlich genau ausgerechnet.
Ein Jahrhundert später ist klar: Was wir Wärme nennen, wird durch die Bewegung der Atome hervorgerufen. Je schneller die unterwegs sind, desto heißer ist es. Und am absoluten Nullpunkt wäre demnach Stillstand. Doch genau das ist nicht möglich, erklärt Walther Nernst seinen Zuhörern. Denn wo Atome völlig bewegungslos erstarrt sind, würde perfekte Ordnung herrschen. Die aber gibt es in der Natur nicht. Im Gegenteil: Überlässt man ein System sich selbst, wird es immer unordentlicher. Das gilt für einen Wald genauso wie für ein Kinderzimmer. Da ist nichts zu machen - Naturgesetz. Wir können zwar immer wieder aufräumen, aber einen Ballon zu einem Nichts schrumpfen lassen oder den absoluten Nullpunkt erreichen: Das schaffen wir nicht, erklärt der Nernstsche Lehrsatz. Also lassen wir es einfach. Frohe Feiertage.