24. Februar 1971 Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
„Ein gemeines Buch!“ – sagte Klaus Mann selbst zu seinem „Mephisto“. Der Theaterstar Gustav Gründgens gab die Vorlage für die Roman-Figur Henrik Höfgen, eines Günstlings von Hermann Göring. Darf man so etwas veröffentlichen? Nein – sagte das Bundesverfassungsgericht am 24. Februar 1971.
24. Februar
Mittwoch, 24. Februar 2010
Autor(in): Brigitte Kohn
Redaktion: Thomas Morawetz
Das sei „ein ganz gemeines Buch, voller Tücken“, sagte Klaus Mann über seinen Roman „Mephisto“. Der Titelheld sah das auch so, als er das Buch, das 1936 in einem Amsterdamer Exilverlag erschien, zu Gesicht bekam. Denn die Romanfigur Hendrik Höfgen, Intendant am Berliner Staatsschauspiel von Görings Gnaden, ist in echt Gustaf Gründgens. Gründgens, der hochbegabte Theatermann, der spektakuläre Darsteller des Hamlet und des Mephisto, der Prinz der deutschen Bühne vor, während und nach der Hitlerzeit.
Das Porträt, das sein ehemaliger Jugendfreund im „Mephisto“ entwirft, ist mit der Wut enttäuschter Liebe gezeichnet. Hendrik Höfgen ist kein Nazi, aber gesinnungslos und in seiner dämonischen Liebe zur Effekthascherei, zur Selbstinszenierung und Menschenverführung den Nazis ähnlicher, als er weiß. Es gehe nicht um den Einzelfall, sondern um den Typ, versicherte Klaus Mann. Um den Typ des Karrieristen, der sich mit der Macht arrangiert. Für Klaus Mann kam das nicht in Frage. Der ging ins Exil und schüttelte sich vor Ekel, wenn er auf Fotos den einstigen Freund im Gespräch mit Nazi-Größen sah.
Doch Gründgens selbst hatte keine Skrupel. Er sah sich als Verfechter der Reinheit der Kunst und sein Theater als Insel der Menschlichkeit in einem Meer des Schreckens. Allzu platte Propagandastücke inszenierte er nicht, und sein Gönner, der Reichsmarschall Göring, nahm das in Kauf. Ein Theater ohne Freiräume ist ein Theater ohne Glanz, und eine glanzlose Bühne taugt nicht als Aushängeschild. Göring nahm Gründgens in Schutz, wenn seine Inszenierungen aneckten. Er lieh ihm sogar sein Ohr, wenn er sich für verfolgte Kollegen verwendete. Vernichten und begnadigen, beides sind Gesten der Macht, und Göring war launisch, bisweilen gönnerhaft, außerdem mit einer Schauspielerin verheiratet, die Gründgens gut kannte.
Gründgens berief sich zeitlebens auf die Menschen, die er kraft seines Einflusses gerettet hat, und seine Schützlinge waren ihm dankbar.
Aber über den Preis, den er zahlte – dass seine Arbeit das Renommee der Henker hob und die Fratze des Terrors verschleierte -, darüber hat er öffentlich nie nachgedacht. Auch nach dem Krieg nicht, als er zum führenden Theatermann der jungen Bundesrepublik aufstieg.
Gegen Klaus Manns „Mephisto“ unternahm er nichts. Musste er auch nicht. Traute sich doch eh kein Verleger an einen Text heran, der dem berühmten Gründgens am Zeug flickte. Während dieser Begeisterungsstürme entfachte, musste Klaus Mann, der heimgekehrte Exilant, erleben, dass man ihn und seine Werke ignorierte. Er nahm sich 1949 das Leben.
Gründgens starb 1963. Zwei Jahre später scheiterte die Veröffentlichung des „Mephisto“ am Einspruch der Erben Gründgens, die das Andenken des Meisters beschmutzt sahen. Die Verfassungsbeschwerde des Verlags wurde am 24. Februar 1971 durch das Bundesverfassungsgericht abgewiesen: Die Unverletzlichkeit der Menschenwürde setze der Freiheit der Kunst Grenzen. Das „Mephisto-Urteil“ hat Justizgeschichte geschrieben, und wer sich in künstlerischen Werken unvorteilhaft widergespiegelt findet, kann sich bis heute darauf berufen. Jedenfalls kann er es versuchen. Denn ganz ausgestritten ist das grundsätzliche Dilemma, das der Fall Höfgen-Gründgens aufgeworfen hat, bis heute nicht. Und so erschien 1980 der „Mephisto“ tatsächlich trotzdem – endlich! – und fand sofort reißenden Absatz. Ein später Triumph für Klaus Mann und ein verdienter: Denn über Höfgen und Gründgens kann man lange streiten, nicht aber über das grundsätzliche Anliegen des Romans: zu zeigen, dass die Kultur eben keine Insel der Seligen ist, sondern immer verstrickt in die Mechanismen der Macht.