24. Juni 1995 Mahnmal für homosexuelle Opfer des NS in Köln
Am 24. Juni 1995 wurde in Köln der Öffentlichkeit ein Mahnmal für schwule und lesbische Opfer nationalsozialistischer Verfolgung übergeben. Autorin: Brigitte Kohn
24. Juni
Freitag, 24. Juni 2016
Autor(in): Brigitte Kohn
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Frechheit siegt - nicht immer. Vor den Nazi-Gerichten eher selten. Der Briefmarkenhändler Julius Enoch versuchte es trotzdem. Man hatte ihn im Berliner Tiergarten in einer verfänglichen Situation mit einem anderen Mann ertappt. "Det waren doch nur Atemübungen", erklärte er vor Gericht. Er sei am fraglichen Juniabend 1936 mit einem Lied auf den Lippen nach Hause gegangen, wie es so seine Gewohnheit sei. Ein Unbekannter habe ihn angesprochen und um Nachhilfeunterricht in Sachen Sangeskunst gebeten. Den habe er gerne erteilt, aus praktischen Gründen liegenderweise im nahe gelegenen Park. Die Nazis fanden das weder glaubhaft noch komisch. Der Name Julius Enoch ist in den Listen des KZ Sachsenhausen unter der Nummer 37011 verzeichnet.
Gebrandmarkt mit dem rosa Winkel
Weit weniger hätte gereicht, um einen schwulen Mann in Gefahr zu bringen. Der berüchtigte Paragraph 175 wurde von den Nazis so verschärft, dass alle Formen homosexueller Begegnung, unter Umständen auch nur die "wollüstige Absicht", unter Strafe standen. Die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung", gegründet durch den fanatischen Schwulenhasser Reichsführer der SS Heinrich Himmler, sammelte Namen und Daten. Ein Kuss, eine Geste, ein Blick, von Denunzianten als zweideutig interpretiert, konnte verhängnisvolle Auswirkungen haben. Schwule wurden zwar nicht so gnadenlos verfolgt wie beispielsweise Juden; sie hatten die Möglichkeit, ihre Liebesbegabung zu verbergen oder eine "Heilung" vorzutäuschen. Doch wer sich, gebrandmarkt mit dem rosa Winkel, in einem KZ wiederfand, hatte geringe Überlebenschancen. Schwule standen in der Lagerhierarchie ganz unten, wurden zwangskastriert, medizinischen Versuchen ausgeliefert, zu Tode geschunden.
"Totgeschlagen - totgeschwiegen"
Ganz unten standen sie lange Zeit auch in der Hierarchie des Gedenkens in der Bundesrepublik.
Hier galt der Paragraph 175 in seiner verschärften Form immerhin noch zwei Jahrzehnte, bis er 1968 und 1973 reformiert und 1994 ganz abgeschafft wurde.
1994 wurde denn auch das erste Denkmal für Schwule im städtischen Raum errichtet, der so genannte "Frankfurter Engel", gefolgt vom Mahnmal am Kölner Rheinufer Nähe Hohenzollernbrücke, das am 24. Juni 1995 der Öffentlichkeit übergeben wurde. 2008 kam noch das Denkmal im Berliner Tiergarten hinzu. Letzteres löste heftige Kontroversen aus, weil sich lesbische Frauen nicht angemessen repräsentiert fühlten. Der Graphitstein in Köln hingegen nennt auch die Frauen. "Totgeschlagen - totgeschwiegen. Den schwulen und lesbischen Opfern des Nationalsozialismus", so lautet die Inschrift. Lesben wurden von den Nazis offiziell nicht strafrechtlich verfolgt; die Nazis nahmen weibliche Sexualität nicht ernst. Doch ihr wahnhafter Männlichkeitskult gefährdete alle, die quer zu den üblichen Geschlechterrollen lebten, Schwule, Lesben und transsexuelle Menschen. Auch Lesben verbrachten die Jahre des Hitlerregimes in ständiger Angst vor Schikanen, auch sie wurden denunziert, beobachtet, in den Gefängnissen und KZs Zielscheibe für sexistische Gewalt. Und alle Homosexuellen litten unter der Zerstörung ihrer Subkultur. So lebendig, so schillernd, so musisch, vielgestaltig und schrill, wie sich die schwule und lesbische Szene zur Zeit der Weimarer Republik darstellte, besonders in Berlin und Köln - so ist sie nie wieder geworden, vielleicht bis heute nicht.