Bayern 2 - Das Kalenderblatt


1

25. Januar 1880 Geburtsstunde des Grubenhunds

Arthur Schütz hat ihn entdeckt, den Grubenhund, sozusagen auf die Welt gebracht. Er wusste: der Grubenhund ist eine Ente? Autor: Hellmuth Nordwig

Stand: 25.01.2017 | Archiv

25.01.1880: Geburtsstunde des Grubenhunds

25 Januar

Mittwoch, 25. Januar 2017

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Journalisten wird ja oft ein profundes Halbwissen nachgesagt. Eigentlich klar. Wer am Morgen einen Kommentar über Trumps aberwitzige Ideen schreibt und sich mittags an den überfälligen Bericht über die Goldene Palme von Venedig macht - oder war es Cannes? -, der bekommt garantiert am frühen Abend noch eine aktuelle Meldung auf den Tisch: über das Gen, das die menschliche Sexualität steuert. Die muss natürlich auch schnell ins Blatt, da kann man nicht jedem Detail nachgehen.

Rätselhaftes Beben

Schon gar nicht, wenn dann noch die Erde bebt. So wie im November 1911 in Österreich. Kommt dort immer wieder vor, die Alpen wollen schließlich wachsen. Passiert ist weiter nichts, doch die "Neue Freie Presse" zitiert aufgeregte Augenzeugen aus Wien und vielen anderen Teilen der k. u. k. Monarchie: Lampen seien ins Schwingen geraten und Uhren stehen geblieben. Auch ein Doktor Ingenieur Erich Ritter von Winkler meldet sich zu Wort, Assistent der Zentralversuchsanstalt der Ostrau-Karwiner Kohlenbergwerke. Dort habe sich der Zentrifugalregulator ausgekuppelt, die Spannung im Transformator sei wegen der Erdstöße auf 4,7 Atmosphären zurückgegangen. Und dies habe wiederum zwei Schaufeln der Parson-Turbine so stark deformiert, dass er sie sofort gegen Stellringe ausgetauscht habe, um Schlimmeres zu verhindern. Es muss drunter und drüber gegangen sein im Kompressorenraum des Bergwerks. Völlig unerklärlich sei aber, schreibt Ritter von Winkler weiter, "dass mein im Laboratorium schlafender Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab".

Lore? Grubenhund!

Mit dem Abdruck des Berichts hatte ein gewisser Arthur Schütz eine Wette um tausend Zigaretten gewonnen: Würde die "Neue Freie Presse" merken, dass es sich um bunt zusammengewürfelte Versatzstücke aus der Sprache der Technik handelt? Die beherrschte Schütz, der am 25. Januar 1880 zur Welt gekommen war.

Schließlich war er selbst Ingenieur und gab als Fachmann für Antriebstechnik die "Riementechnischen Mitteilungen" heraus. Die Redakteure fielen herein. Auch weil keiner von ihnen den bergmännischen Ausdruck für eine Lore kannte, nämlich Grubenhund.

Den kultivierte Arthur Schütz in den folgenden Jahren zu einer eigenen literarischen Form, der glaubhaft fachmännischen Leserzuschrift. Anders als seine Verwandte, die Zeitungsente, war der Grubenhund stets wohl durchdachter "Protest gegen die angemaßte Autorität der Druckerschwärze", wie Schütz notierte. Mal klagte er über Betonwürmer oder die Störung durch laut miauende Laufkatzen, mal betrauerte den an einem Ovarialkarzinom verstorbenen Rittmeister Neumann. Der "Reichenberger Zeitung" drehte er das Rubenssche Abendmahl von Leonardo da Vinci an und dem "Völkischen Beobachter" ein als Kinderlied getarntes Gedicht des Juden Heinrich Heine. Er war schon ein Hund, der Schütz.

Die Grubenhunde haben ihn erfreulicherweise überlebt. Sie tauchen als neu entdeckte Tierarten in Fachzeitschriften auf, als detailreich bebilderte Artikel bei Wikipedia und nach wie vor in gutgläubigen Zeitungen. Ein paar von ihnen haben auch jenes Sexual-Gen des Menschen dankbar aufgegriffen. Erfunden hat es ein Student und per Pressemitteilung verbreitet. Nur wenigen Redaktionen war die Kontaktadresse aufgefallen: das Münchner Arthur-Schütz-Institut.


1