26. Juli 1184 Erfurter Latrinensturz
Das Mittelalter - Welt voller Gefahren! Sogar der Abtritt im Haus konnte zur tödlichen Falle werden. Das mussten gräfliche Herren, hochmögende Bürger, Erzbischöfe und der König Ludewig selbst erfahren: Am 26. Juli 1184 kam es zum Erfurter Latrinensturz.
26. Juli
Dienstag, 26. Juli 2011
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung
Manchmal, wenn wir eine Burg besichtigen, fällt uns außen an der Mauer ein kleines Erkerlein ins Auge, in luftiger Höhe klebt es am Gestein wie ein Schwalbennest. Das war das Burgklosett. Was immer der Mensch loswerden wollte, hat er durch ein Loch im Erkerboden einfach an der Außenwand entlang nach unten in die Landschaft fallen lassen. Das war praktisch, auf diese Weise hat es nicht das Burginnere verpestet. Die Methode, weil sie so einfach war, benutzte man auch in den Städten. Zwischen den einzelnen Häuserzeilen war oft ein schmaler Zwischenraum, Platz genug für die angemauerten Schwalbennester; was der Mensch nicht brauchte, fiel auch hier durch ein simples Loch nach unten und füllte den Raum auf, vom Regen oder auch von Hand wurde es nach draußen geschwemmt, und im Winter fror es ein, was angenehm war, weil es dann nicht mehr zum Himmel stank.
Eine Verbesserung brachte die Erfindung unterirdischer Abtrittgruben: Ein Loch im Boden, darunter eine große Grube, die mit Brettern bedeckt war und sich im Lauf der Zeit füllte. So sind Dreck und Geruch im Haus des Verursachers geblieben. Ein Nachteil war, dass diese Abtrittgruben mühsam von Hand geleert werden mussten. Eine Arbeit, die man gerne sein ließ. War die Grube voll, hat man den Zugang einfach mit Brettern abgedeckt und an anderer Stelle des Hauses ein neues Örtchen angelegt. Eine praktische Methode, aber: Sie hatte auch Nachteile.
Am 26. Juli des Jahres 1184 versammelten sich auf der erzbischöflichen Burg zu Erfurt - andere sagen, es sei in der Domprobstei des Marienstiftes gewesen - eine stattliche Anzahl gräflicher Herren, Fürsten, Bischöfe und Erzbischöfe sowie Bürger der Stadt nebst dem König Heinrich. Sie waren zusammengekommen, um einen Streit zu schlichten, der sich zwischen dem Mainzer Erzbischof und dem Landgraf Ludewig von Thüringen ereignet hatte. Die edlen Herren tagten im zweiten Stock des Gebäudes, und da traf es sich, dass die Balken des Bodens alt und morsch waren und das Gewicht so vieler großer Männer nicht gewohnt. Und so gab mit einem Mal der Boden nach unter den Füssen der Tagenden.
Die stürzten eine Etage tiefer, und auch hier hielten die Balken die Wucht der fallenden Männer nicht aus, "und alle", schreibt Herr Pastor Leitzmann zu Tunzenhausen, der das Geschehen vor Jahren erforscht hat, "alle, die nicht in den Gitterfenstern sassen, stürzten in die Tiefe, viele von ihnen wurden beschädigt, einige verloren sogar das Leben. Mehrere", berichtet der Pastor weiter, "fielen gar in ein heimliches Gemach, von denen ein Theil kaum mit grosser Mühe herausgezogen werden konnte, die anderen erstickten in dem scheusslichsten Unflat."
Ums Leben gekommen sind der Edle Heinrich von Schwarzburg, wegen dem der erzbischöfliche Zwist seinen Anfang genommen hatte, Friedrich von Abenberg, der Burggraf Friedrich von Kirchberg bei Sondershausen, der Hesse Gozmar von Ziegenhayn, Burkard von Wartberg, Beringer von Mellingen, sie alle sind jämmerlich im Inhalt einer seit Jahren ungeräumten Abtrittgrube erstickt. "Landgraf Ludewig", weiß der Herr Pastor, "stürzte auch mit hinab, wurde jedoch glücklich gerettet. Der König und der Erzbischof sassen in den Fensterbänken, sie mussten mit Hülfe angelegter Leitern herabgetragen werden."
Von dem plötzlichen Absturz seiner Mannen, heißt es in der Chronik, sei König Heinrich derart beeindruckt gewesen, dass er die Stadt Erfurt auf der Stelle verlassen habe. Und der erzbischöflich-landgräfliche Streit, der blieb bis in unsere Tage ungeschlichtet.