Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. April 1810 Beethoven widmet sein Stück "Für Elise"

Wer war Elise? Welche Rolle spielte sie in Ludwig van Beethovens Leben, als er ihr am 27. April 1810 sein berühmtes Klavierstück "Für Elise" widmete, einen der berüchtigtsten Ohrwürmer der klassischen Musik? Musikwissenschaftler argwöhnen: An der Frau stimmt was nicht.

Stand: 27.04.2011 | Archiv

27 April

Mittwoch, 27. April 2011

Autorin: Carola Zinner

Sprecherin: Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Wie die neueste Forschung belegt, ist für die perfekte Entfaltung kindlicher Fähigkeiten das Erlernen eines Instrumentes geradezu unerlässlich. Umsichtige Eltern lassen ihren Nachwuchs also ganz nach guter bürgerlicher Tradition Flöte lernen oder Geige, am liebsten aber Klavier. Einmal die Woche marschiert die liebe Marie, Notenmappe unterm Arm, zur nahe gelegenen Musikschule, und am Wochenende dann zeigt sie zuhause, was sie gelernt hat.

Übungen für die rechte Hand, Übungen für die linke, beide zusammen, Akkorde, Läufe und schließlich, endlich das erste große Stück.

Ein echter Beethoven - und das nach so kurzer Zeit! Eltern und Tanten sind begeistert - und Marie hämmert dramatisch auf das a und fühlt einen wohligen Schauer. Wie muss der Komponist die Frau geliebt haben, deren Namen er mit der Widmung weltberühmt gemacht hat! "Für Elise" steht groß auf dem Blatt, das bis heute jeder Klavierschüler früher oder später vor sich liegen hat und das jeder Klavierlehrer nur zu gut kennt: Note für Note, samt Vorzeichen und den tückischen kleinen Hürden, an denen ungelenke Finger in hoffnungsloser Zuverlässigkeit hängen bleiben.

Wer aber war Elise? Diese Frage hat nicht nur die Phantasie zahlreicher Klavierschülerinnen beschäftigt, sondern auch diverse Musikwissenschaftler. Elise - das ist die große Unbekannte in Beethovens Biographie; nirgendwo sonst außer in der Widmung taucht ihr Name auf.

Und das ist kein Wunder, sagen die Historiker, denn in Wirklichkeit gab es sie gar nicht. Die ganze Elise ist nichts als ein Fehler, begangen von einem Musikwissenschaftler namens Ludwig Nohl. Der entdeckte im Jahr 1865 in einem Münchner Privathaushalt das kostbare Originalmanuskript der Komposition und entzifferte die Widmung falsch, was durchaus verzeihlich ist angesichts Beethovens unleserlicher Handschrift.

Weniger nachvollziehbar ist, wie das Manuskript später einfach spurlos verschwinden konnte. Die Folge ist, dass man heute nicht mehr herausfinden kann, ob die Elise nun tatsächlich eine Elise war - oder vielleicht doch eher eine Therese, was eigentlich viel besser passen würde. Da nämlich wüsste man sofort, um wen es sich handelt: um Therese von Malfatti, die Tochter eines Wiener Kaufmanns, in dessen Haus Ludwig van Beethoven im Frühling des Jahres 1810 häufig zu Gast war. Aus Briefen lässt sich rekonstruieren, dass er der schönen jungen Frau Anfang Mai einen Heiratsantrag machte und eine Abfuhr kassierte: "Deine Nachricht stürzte mich aus den Regionen des höchsten Entzückens wieder tief herab", schrieb er damals an sie.

Am 27. April 1810 jedoch scheint noch alles Liebesglück der Welt möglich gewesen zu sein; dem Tag, an dem Beethoven seine "Bagatelle" - so die offizielle Bezeichnung des Stücks - vermutlich eben jener Therese widmete, die später zur Elise wurde.

Wozu man ihr, lebte sie noch, ja fast gratulieren müsste. Denn wer möchte schon seinen Namen untrennbar mit einem Stück verbunden wissen, das weltweit zum penetranten Ohrwurm geworden ist. Und zwar nicht etwa wegen seiner hervorragenden Eignung für den Klavierunterricht der Unterstufe, sondern wegen seiner millionenfachen Verwendung in elektronischen Geräten. "Für Elise" leiert aus Handys, Kinderspielzeug und Musikcomputern, und eine besonders scheppernde Version des Stücks signalisiert in der fernöstlichen Metropole Taipeh gar das Herannahen der städtischen Müllabfuhr.

Angesichts solcher Zumutungen bleibt den Schöngeistern, Hausmusikern und Beethoven-Liebhabern als einziger Trost die kleine Hoffnung, dass Nohl sich seinerzeit wirklich verlesen hat. Denn dann - fände das Ganze wenigstens unter falschem Namen statt.


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