Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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27. Oktober 1938 Nylon vorgestellt

Wallace Carothers hat nicht mehr erlebt, welche Begeisterung seine Erfindung weltweit auslösen sollte: Am 27. Oktober 1938 wurde die erste Polyamidfaser - von Werbeleuten flott "Nylon" genannt - vorgestellt. Ab jetzt waren die Strümpfe angeblich laufmaschensicher.

Stand: 27.10.2010 | Archiv

27. Oktober 1938: Nylon vorgestellt

27 Oktober

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Autor(in): Susanne Tölke

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Jeder Erfinder träumt davon, d i e bahnbrechende Entdeckung zu machen, die den Weltmarkt revolutioniert und ihn zum Millionär macht. Wallace Carothers war so ein Mann. Ihm gelang im Jahr 1937, was die Labors in aller Welt zu finden versuchten: die chemische Herstellung eines schmiegsamen, dehnbaren, transparenten Stoffs, der so schön war wie Seide und so billig wie ein Industrieprodukt. Wallace Carothers, Leiter der Forschungsabteilung der amerikanischen Firma Dupont, mixte die Moleküle zur ersten Polyamidfaser der Welt. Allen Kollegen in der Abteilung war sofort klar, dass das neue Material - durchsichtig und trotzdem von hoher Festigkeit - der ideale Damenstrumpf der Zukunft sein würde. Bis dahin hatte es nur den Seidenstrumpf gegeben, der teuer und hochempfindlich war. Am besten legte man ihn gleich wieder in Seidenpapier, nachdem man ihn getragen hatte. Außerdem war er nicht elastisch, schon nach kurzem Tragen schlug er Falten am Knöchel und beulte am Knie. Und er zog Laufmaschen, wenn man ihn nur schief ansah.

Das neue Material aber versprach, überhaupt keine Laufmaschen mehr zu entwickeln, so schien es jedenfalls den Forschern in der ersten Euphorie, und deshalb gaben sie ihm den Namen "No-Run". Der Werbeabteilung war das nicht flott genug, man erwog dann No-Lun, das klang aber zu düster. Am Ende einigte man sich auf Nylon, einfach nur deshalb, weil es sich besonders leicht aussprechen ließ. Wallace Carothers hat den Namen Nylon nie gehört.

Als die Wunderfaser am 27. Oktober 1938 in Philadelphia der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war der Erfinder schon tot. Er hatte in einem Hotelzimmer Selbstmord begangen. Die Firma Dupont erklärte, er sei schon immer depressiv gewesen, die Konkurrenz witterte einen Wirtschaftskrimi. Der Fall wurde nie aufgeklärt.

Die Faser Nylon jedenfalls trat den Siegeszug an, den ihr die Forscher prophezeit hatten. Allein in New York wurden in der ersten Verkaufswoche 4 Millionen Packungen Nylonstrümpfe verkauft. In Deutschland gab´s die ersten Nylons erst nach dem Krieg, was so manchem GI zu unverhofftem Erfolg bei den Fräuleins verhalf. Die Behauptung, Nylons seien laufmaschensicher, hat sich natürlich als Schwindel herausgestellt. Bis heute kämpft die Damenwelt mit Uhu und Nagellack gegen die Auflösungsprozesse in Strumpf und Strumpfhose.

Beide haben aber mittlerweile einen neuen Feind, der gefährlicher ist als die Laufmasche: Die Hose nämlich, beziehungsweise den Hosenanzug. Selbst in den Chefetagen von Politik und Wirtschaft, so hat die besorgte Strumpfindustrie herausgefunden, tragen Frauen immer häufiger den bequemeren Hosenanzug. Die Strumpfindustrie lässt sich allerhand einfallen, um dem entgegenzuwirken: florale Muster, grafische Muster, Animal-Prints, Knallfarben, aufgestickte Kristalle, aber der Umsatz bleibt rückläufig. Böse Zungen behaupten sogar, es gäbe schon längst den absolut laufmaschensicheren Strumpf, aber die Hersteller hätten in konspirativer Einigkeit beschlossen, die Laufmasche nicht auszumerzen - sonst gäbe es noch weniger Nachfrage.

Vielleicht schaffen es ja die Nostalgiemodelle mit Naht, den Markt wieder anzukurbeln. Schon Kurt Tucholsky wusste: "Die Naht ist die Strickleiter der männlichen Phantasie."


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