Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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Kalenderblatt Pariser Tonfilmfrieden: Weltmarktführer einigen sich technisch

Der neue Tonfilm entfacht einen internationaler Krieg um technische Patente: Zahlreiche Elektrokonzerne wollen ein Stück vom Kuchen. Bis zum Pariser Tonfilmfrieden: Doch nur, weil im Titel das Wörtchen "Frieden" steckt, wird damit nicht automatisch ein gleichberechtigter Markt eröffnet. Autorin: Inés Peyser-Kreis

Stand: 22.07.2024

22.07.2024: Pariser Tonfilmfrieden: Weltmarktführer einigen sich technisch

22 Juli

Montag, 22. Juli 2024

Autor(in): Inés Peyser-Kreis

Sprecher(in): Christian Baumann

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Als der All-American Geschäftsmann John Edward Otterson 1924 von der Rüstungsindustrie in die Telekommunikation wechselt, denkt er wahrscheinlich, die Welt der Waffen hinter sich gelassen zu haben. Doch er steuert direkt auf einen Krieg zu: Den Tonfilmkrieg. Dabei will er für seinen Elektrokonzern Western Electric lediglich eines: Das Weltmonopol auf dem neuen Tonfilmmarkt.

Patent gegen Patent

Als Otterson 1928 Präsident der Western Electric wird, ist das Wettrennen um die Tonfilmtechnik bereits in vollem Gange: Neue technische Verfahren und Geräte zur Aufnahme und Wiedergabe werden in Europa und in den USA entwickelt – und klar: sofort patentiert. Was der Western Electric und anderen Patentinhabern wichtig ist: Filme, die auf ihren Apparaten gedreht wurden, soll man auch nur auf ihren Apparaten wiedergeben. Jeder will ein Stück vom Kuchen – am liebsten den Ganzen.  

So beginnt ein munteres weltweites Verklagen: Ein amerikanischer Film, gedreht auf einer Apparatur von Western Electric, vorgeführt auf einer deutschen Apparatur? Das gibt sofort eine Klage! Und nicht zu vergessen, dass es auch technisch tendenziell katastrophal ist, Filme auf anderen Apparaten abzuspielen. Da kriegt die virtuose Solistin schon mal eine verzerrte Bassstimme. Irgendwann ist die Sache so verfahren, dass Filme wohl nie wieder über Ländergrenzen hinweg… Da sieht selbst der so kompromisslose Otterson ein: Eine Einigung mit den Europäern muss her.

Ein Frieden, zwei Sieger

Also lassen sich die zwei Weltmarktführer zu einer Konferenz auf neutralem Pariser Boden ein: Auf der einen Seite die amerikanische Western Electric, auf der anderen die deutsch-holländische Küchenmeister-Tobis-Klangfilm-Gruppe. Noch vor den Verhandlungen kommt für Otterson eine technische Kompatibilität nicht in die Tüte! Irgendwas muss ihn bei den Verhandlungen hinter verschlossener Tür überzeugt haben. Denn am 22. Juli 1930, da schüttelt der zuvor noch so standhafte Otterson die Hand des europäischen Gegenübers: Der Pariser Tonfilmfrieden ist geschlossen.

Gestattet und auch technisch möglich soll es sein, Filme auf Apparaten aller beteiligten Unternehmen zu zeigen. Die Internationalität des Films ist gesichert! Ob Otterson also nur zähneknirschend die Hand schüttelt? Nicht unbedingt: Denn in einem weiteren Teil des Abkommens sichern sich die zwei Konzernriesen dann doch ein Monopol. Nämlich für den Verkauf der Geräte. Großspurig teilen sie dafür die Länder der Welt unter sich auf: In den meisten europäischen Ländern darf ab nun nur die Küchenmeister-Tobis-Klangfilm-Gruppe ihre Geräte an den Mann bringen. Western Electric bekommt dafür die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Indien und Russland. Kein schlechter Deal für die beiden bisherigen Kontrahenten. Denn jede noch so innovative Außenseiterfirma kann sich jetzt eine Chance auf Marktbeteiligung abschminken. Ein Krieg endet, zwei Sieger gehen daraus hervor – und eine Menge kleiner Verlierer. Seine Weltherrschaftsfantasien kann Otterson nicht ganz umsetzen – doch für genügend filmreife Dollarzeichen wird es gereicht haben.


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