29. April 1937 "Land der Liebe" abgesagt
Alles eine Frage des Charakters: Nazis lächerlich machen unter Lebensgefahr und keine Hollywoodkarriere machen wegen Kollaboration mit Hitlers Gesellen. Goebbels hat die Stinkbombe verdient, der Regisseur Schünzel sein Schicksal nicht. Autor: Xaver Frühbeis
29. April
Mittwoch, 29. April 2015
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Frank Halbach
Zwischen zwei Stühlen zu sitzen ist keine leichte Aufgabe. Und hinterher dankt es einem auch noch keiner. Ein Mann zwischen zwei Stühlen war, eine Zeit lang wenigstens, Reinhold Schünzel. Schünzel hat zu den brillantesten Talenten des aufstrebenden deutschen Tonfilms gehört. Er hat produziert, Regie geführt, Schurken, Verführer, Luftikusse gespielt. Was immer Schünzel angefasst hat:
es kam ein Erfolg heraus. Und so entscheidet die neue deutsche Reichsregierung im Jahr 1933:
Der "Halbjude" Schünzel kann uns noch nützlich sein. Während viele seiner Kollegen entlassen, bedroht, geschlagen, vertrieben werden, arbeitet Reinhold Schünzel weiter in Deutschland. Das wird man ihm übel nehmen. Er dreht große Filme: die Verkleidungskomödie "Viktor und Viktoria", das Musiklustspiel "Amphitryon" und sein letztes deutsches Projekt: "Land der Liebe".
Eine echte Stinkbombe
Schon in "Amphitryon" hat Schünzel Seitenhiebe gegen das Deutsche Reich eingebaut. Er führt die Dummheit der Männer vor, die Eitelkeit der Hofschranzen und die Hohlheit von Masseninszenierung und Prunk-Architektur. Mit seinem nächsten Film, "Land der Liebe", baut er an einer echten Stinkbombe. An der Oberfläche: eine operettenhafte Verwechslungsfarce. Unter der Oberfläche macht sich Schünzel über Regierungspopanz und Selbstgefälligkeit der Eliten lustig.
Ein Reichsführer, der keine Lust auf Frauen hat, eine schöne Blondine, die keine Lust hat, mit dem Führer verkuppelt zu werden, dazu ein hinkender Polizeiminister und ein Bombenattentat, ganz aus Versehen:
deutliche Hinweise, gegen wen in diesem Film gestichelt wird.
Der oberste Herr des deutschen Filmwesens, Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels, bekommt das alles viel zu spät mit. Für den 29. April 1937 ist die Premiere von "Land der Liebe" angekündigt. Zwei Tage vorher schaut sich Goebbels die Sache an - und ist entsetzt. "Der Film bringt uns einen ungeheuren Schaden", schreibt er in sein Tagebuch. "Der darf so nicht heraus. Das hat dieser Halbjude Schünzel mit Absicht gemacht. Aber ich werde diesen Unrat ausmisten."
Goebbels lässt die Premiere kurzerhand absagen. Begründung:
technische Probleme. Der Produktionschef der Filmfirma wird entlassen, um die Drehbuchautoren kümmert sich die Gestapo. Den Film selbst kann man nicht einfach wegwerfen, schließlich hat er knapp anderthalb Millionen gekostet. Also dreht man Szenen nach, schneidet ihn um, und nach zwei Monaten, im Juni 37, kommt "Land der Liebe" in einer entschärften Fassung in die Kinos. Den Namen Reinhold Schünzel liest man im Vorspann nicht.
Eine Frage des Charakters
Schünzel selbst hat sich, noch bevor die Gestapo zugreifen konnte, ins Ausland abgesetzt. In Karlsbad trifft er Louis B. Mayer, den dritten Teil der amerikanischen Filmfirma "Metro Goldwyn Mayer". Und der macht ihm ein verlockendes Angebot. Er soll in den USA für ihn arbeiten. Schünzel reist nach Hollywood.
Dort allerdings sind bereits Deutsche. Kollegen, die früher als Schünzel die Heimat verlassen haben, geflohen, vertrieben, ins Exil geschickt. Und die intrigieren nun gegen Schünzel. Jeder anständiger Mensch hat Deutschland früher den Rücken gekehrt, wieso nicht Schünzel? Hat er etwa dem Dritten Reich geholfen, mit seinen Filmen Devisen einzufahren? Man spricht ihm mangelnden Charakter zu, Geschäftemacherei. Aus solchen Aktionen spricht zwar hauptsächlich die Angst um das eigene Geschäft. Aber: sie wirken. Schünzel, der seine Karriere riskiert hat, um Nazigrößen lächerlich zu machen, dreht in den USA noch ein paar Filme, aber eine wirkliche Chance hat er nicht. Letztlich steht er wieder vorder Kamera, und spielt für die Amis - den bösen Nazi.
1949 kehrt Schünzel nach Deutschland zurück. Wieder zu spät, wieder sind ihm andere zuvorgekommen. Und viel Zeit hat er eh nicht mehr. Im September 1954 stirbt Schünzel, 65jährig, in München.
Sein Herz hat versagt.