Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. März 357 Heiligenreliquien kommen nach Konstantinopel

Die sterblichen Überreste des Apostels Andreas und des Evangelisten Lukas gehörten zu den ersten hochprominenten Gebeinen, die in Byzanz als Reliquien verehrt wurden. Am 3. März 357 waren sie eingetroffen. Der Reliquienkult blühte Jahrhunderte lang in der christlichen Welt.

Stand: 03.03.2010 | Archiv

3. März 357: Heiligenreliquien kommen nach Konstantinopel

03 März

Mittwoch, 03. März 2010

Autor: Christian Feldmann

Redaktion: Thomas Morawetz

Es gab eine Zeit, da waren die Leute verrückt nach den Schädeldecken, Schenkelknochen, Schneidezähnen verstorbener Heiliger. Reliquien nennt man diese menschlichen Überbleibsel in klassischem Latein. Mit der historischen Korrektheit nahm man es dabei nicht so genau; frommer Glaube hat einen eigenen Wahrheitsbegriff.

In der Heiligen Kapelle zu Konstantinopel zum Beispiel gab es in einem Kristallfläschchen das am Kreuz vergossene Blut Christi zu sehen, die Nägel, mit denen man ihm Hände und Füße durchbohrt hatte, den abgeschlagenen Kopf Johannes des Täufers. Und seit am 3. März 357 auch die sterblichen Überreste des Apostels Andreas und des Evangelisten Lukas in Konstantinopel Einzug gehalten hatten, wuchs die Zahl der prominenten Reliquien dort ständig an.

Fast 1.000 Jahre später, im November 1231, starb in Marburg Elisabeth von Thüringen, von den Habenichtsen geliebt und von ihren vornehmen Verwandten verstoßen. Ihr Leichnam war mehrere Tage aufgebahrt, der Verwesung trotzend und nach Rosen duftend, und vom Zustrom der Gläubigen berichtet der Chronist Caesarius von Heisterbach: "Viele kamen, entflammt von Verehrung, und lösten, ja rissen Teile der Leichentücher ab, einige schnitten ihr Haupthaar und Nägel ab, einige stutzten ihr die Ohren, andere schnitten die Brustwarzen ab, um sie als Reliquien aufzubewahren." Als der Leib fünf Jahre später nach der Heiligsprechung exhumiert wurde, trennte man ihm gleich auch noch den Kopf ab. Zum Glück, muss man fast sagen, verschwanden Elisabeths malträtierte Gebeine während der Reformationszeit, und niemand weiß, wo sie hingeraten sind.

Dabei hatte es bis ins 10. Jahrhundert hinein als Frevel gegolten, tote Glaubenszeugen zu zerschneiden oder sogar ihren Körper auszukochen, wie es beim Kirchenlehrer Thomas von Aquin geschehen war, um ihn bequemer in Reliquien zerteilen zu können. Andreas und Lukas waren in Byzanz noch relativ vollständig angekommen, aber das war lange her. "Ich will meinen Körper unversehrt bis zum Jüngsten Tag bewahren", so raunte der heilige Ulrich von Augsburg warnend aus dem Jenseits - glaubte man jedenfalls.
Sein Konstanzer Bischofskollege Gebhard wollte nämlich Reliquien aus seinem Sarkophag entnehmen. Die Kirchenbehörden halfen sich salomonisch: Erlaubt sei nur die Entfernung nachwachsender Körperteile wie Haare, Zähne, Finger- und Zehennägel.

Doch dann brachen rasch alle Dämme. Könige, Bischöfe, Klöster suchten einander beim Sammeln von Reliquien zu übertreffen. Die einfachen Leute beteten nicht mehr nur ehrfürchtig vor den Gebeinen der Märtyrer und Klostergründerinnen, das hatten sie immer schon getan, weil man die Kraft besonderer Menschen in ihren sterblichen Überresten gegenwärtig glaubte. Nein, jetzt begannen sie, die Reliquien als Talismane und Abwehrzauber gegen böse Geister zu benutzen, was eigentlich in den Bereich heidnischen Aberglaubens gehörte.

Eine solche Reliquien-Inflation verursachte zunehmend Probleme. Erst vor wenigen Jahren etwa wurde im Dörfchen Calcata bei Rom ein edelsteinbesetztes Kästchen mit der heiligen Vorhaut Jesu gestohlen - als Jude war er selbstverständlich beschnitten -, und prompt stellte sich heraus, dass es dieselbe Vorhaut zum Glück noch zweimal gab, in Spanien und der Schweiz. Oder: Aus den zahllosen angeblichen Überresten des Kreuzesholzes könnte man riesige Schiffe zimmern und mit den überall auf der Welt vorhandenen Teilen der Dornenkrone einen Wald pflanzen. Doch bereits der französische Benediktinermönch und Geschichtsschreiber Guibert von Nogent, gestorben 1124, fand eine elegante theologische Lösung für solche Peinlichkeiten: Wenn jemand aus ganzem Herzen und voller Vertrauen einen falschen Heiligen anrufe oder eine unechte Reliquie verehre, dann bringe Gott in seiner Barmherzigkeit den Irrtum wieder in Ordnung.


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