14. Februar 1980 Andy Warhols Besuch in der Düsseldorfer Herta-Wurstfabrik
Herta: die größte und modernste Wurstfabrik Europas. Der Firmenchef liebt moderne Kunst. Und so lädt er Andy Warhol zum Hausbesuch ein. Andy hätte gerne was zum Essen gehabt. Autor: Simon Demmelhuber
14. Februar
Donnerstag, 14. Februar 2019
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Der Laden läuft, hüben wie drüben: In Manhattan strahlt der Pop-Stern Andy Warhol heller denn je. Das silberblonde Kunst-Chamäleon hat sich als Premiummarke etabliert. Seine Abziehbilder der Kommerzkultur machen Kasse, die Suppendosen, Ketchupkartons und Alltagsheiligen aus Hollywood gehen weg wie warme Semmeln.
Auch in Herten rollt der Rubel. Karl Ludwig Schweisfurth hat Herta zur modernsten und größten Fleischwarenfabrik Europas ausgebaut. 25.000 Schweine und 5000 Rinder zerlegen, verwursten, verpacken, verschicken seine Arbeiter wöchentlich. Damit das industrielle Metzeln nicht auf die Stimmung drückt, holt der Chef moderne Kunst in den Betrieb. Zwischen Bauch und Lende, neben Wade, Brust und Brät heben Werke von Picasso und Co. die Laune am Fließband.
Zwei Königskinder
Andy und Karl Ludwig! Zwei Königskinder, wie für einander gemacht. Pioniergeist hüben wie drüben, Macher-Gene und Erfolg mit Massenspeisung: Herta, wenn´s um die Wurst, und Warhol, wenn´s um die Kunst geht. Noch sind die Sphären getrennt. Aber nun kommt zusammen, was zusammen gehört.
Im Februar 1980 tourt Warhol als Hofmaler der Schönen, Reichen und Bedeutsamen durch Deutschland. Für 25.000 Dollar macht der Pop-Art-Papst einen Hausbesuch inklusive Small Talk, Handshake und Portraits mit der Sofortbildkamera. Aus den eigenhändig geknipsten Polaroids konfektionieren der Künstler und die Factory später Siebdruckportraits im Warhol-Touch.
Schweine, Schweine, Schweine…
Auch Karl Ludwig Schweisfurt hat Lust, sich in poppiger Pose an die Wand zu hängen. So landet Andy Warhol am 14. Februar 1980 im westfälischen Herten. Das Protokoll ist überschaubar: Begrüßung am Wagenschlag, leichtes Fremdeln allerseits, dann Aufbruch zur Werksbesichtigung und Anlegen der Schutzkleidung.
Und schon irrlichtert Warhol, dank Hygienehäubchen, Füßlingen und Kittel von Kopf bis Fuß keimfrei in Plastik verpackt, durch die Innereien des Herta-Imperiums. Der coole Mix aus Kostüm, Kunst am Bau und Knochensäge ist ganz nach seinem Geschmack. "Alles voller Plunder und Spielzeug", vertraut er dem Tagebuch an. "Überall Schweine, Schweine, nichts als Schweine, gekocht, zerstückelt, ausgestopft. Dazwischen Installationen und Gemaltes: Ein Auto mit Rinderschädeln, Metzgerschürzen und Messern - Wow!. Ein Fresko mit Szenen im Höhlenmalerstil - Wonderful!. Ein Siebdruckschwein aus eigener Fertigung - so cute!".
Ja, für die Augen ist gesorgt. Aber nicht für den Bauch. Warhol darbt. Er hungert, der Magen knurrt, der Gaumen wässert, Kohldampf quält. Seit dem Frühstück hat er nichts mehr gegessen. "Wir konnten das Sauerkraut riechen, aber man bot uns nichts an!", mault das Tagebuch. Doch dann, endlich: Erlösung, die Not hat ein Ende. Schweisfurth tischt Frankfurter auf. "Sie waren wirklich gut", hält Warhol fest. "Wir hatten sie mit Senf." So richtig gesättigt hat ihn die Brotzeit laut Journal allerdings nicht: "Wir mussten ohne Essen weg. Das kam uns echt schräg vor. Wir setzten uns ins Auto und fuhren zu einem Restaurant in einen Ort, der Bottrop heißt."
Zum Glück zürnt der Meister nicht lange. Die Kunstfabrik liefert fristgerecht, die Wurstfabrik empfängt dankbar. Freude hüben wie drüben. Uff, dann ist ja noch einmal alles gut gegangen!