Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. Mai 1931 Arturo Toscanini weigert sich, Faschistenhymne zu dirigieren

Gern hätten die Faschisten den berühmten Dirigenten als einen der Ihren gewusst. Doch Arturo Toscanini hält weder etwas von Mussolini, noch von faschistischem Liedgut. So etwas führt er nicht auf.

Stand: 14.05.2020 | Archiv

14.5.1931: Arturo Toscanini weigert sich, Faschistenhymne zu dirigieren

14 Mai

Donnerstag, 14. Mai 2020

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Eigentlich war das Liedchen ja ziemlich harmlos. "Addio, Giovinezza", aus einem italienischen Studententheaterschwank, Schönheit und Jugend seien nicht ewig, sie müssen vergehen und der Mensch mit ihnen. Im ersten Weltkrieg ist das Lied von den Soldaten der italienischen Sturmtruppen zum Marschieren gesungen worden, und als die sich nach 1918 in Scharen Mussolinis Faschisten anschlossen, haben sie es dorthin mitgenommen. Allerdings mit einem neuen Text. Der jetzt nicht mehr nur die Jugend gepriesen hat, sondern auch den hoffnungsvollen Aufbruch in eine neue Zeit. So ist "Addio, Giovinezza" zur offiziellen Hymne der Faschistischen Partei Italiens geworden. Wo immer Publikum zusammenkam - in Sportarenen, in Kinos und Theatersälen, in Schulen sogar - musste sie gespielt werden. ((Und von den Zuhörern hat man erwartet, dass sie mitsangen oder wenigstens respektvoll den Hut abnahmen. Nicht wenige brave Bürger des Lands jedoch weigerten sich.))

Mögen wir nicht!

Im Frühjahr 1931 hat man für zwei Konzerte im Stadttheater von Bologna den berühmten Dirigenten Arturo Toscanini gewinnen können. Zur gleichen Zeit hält die faschistische Partei in der Stadt eine Feier ab, mit großer Prominenz, und die gibt bekannt, das eine der Konzerte - am 14. Mai - besuchen zu wollen. Bolognas Bürgermeister weiß: ohne "Giovinezza" wird das Ärger geben. Er weiß allerdings auch, dass Toscanini noch nie ein Konzert mit dieser Verbeugung an die Partei begonnen hat. Und an dem Tag eine Ausnahme zu machen, das lehnt Toscanini ab. Und so geschieht, was unter Faschisten geschieht.

Machen wir nicht!

Am Tag des Konzerts stehen vor dem Bühneneingang junge Burschen in schwarzen Hemden. Als Toscanini kommt, fragt ihn einer, wie das jetzt sei mit "Giovinezza", man habe gehört, die würde heute nicht gespielt werden. Als der Dirigent das bestätigt, schlägt der schwarz gekleidete Mann auf den 64-jährigen ein.

Er schlägt ihn auf den Oberkörper und ins Gesicht, dass seine Lippe blutet.

Die Menge schreit dazu Beleidigungen, daneben stehen Wachen und greifen nicht ein. Toscaninis Frau und sein Manager ziehen den Dirigenten ins Auto und fahren ihn zurück ins Hotel. Im Theater heißt es dann, Toscanini sei überraschend erkrankt, das Konzert müsse verschoben werden. Toscanini selbst reist noch in derselben Nacht zurück nach Mailand, der Bürgermeister hatte ihm gesagt, er könne nicht garantieren, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Tags darauf steht die Polizei vor der Tür. Nicht bei den Faschisten, sondern bei Toscanini. Sie nehmen ihm den Pass weg und seine Visapapiere. Er steht jetzt unter polizeilicher Aufsicht. Währenddessen kommt es anderswo zu Solidaritätskundgebungen. In der Mailänder Scala rufen Opernbesucher zwischen den Akten "Viva Toscanini!" - und werden sofort verhaftet. Auch im Ausland setzen sich Kollegen für Toscanini ein. Und als selbst die "New York Times" berichtet, lässt Mussolini ihm seinen Pass wieder aushändigen. Von da an jedoch wird er ihn bei seinen Heimatbesuchen überwachen lassen. Toscanini dirigiert in New York, in Salzburg und Wien, nicht mehr in Italien, aber wenn er in Mailand in die Oper geht, sind da Polizeispitzel, die notieren, wer ihn grüßt.

Schließlich, im November 1937, verlässt Toscanini Europa. Aus New York hat ihn ein verlockendes Angebot erreicht. Der Radiosender NBC lässt eigens für ihn ein großes Sinfonieorchester zusammenstellen. In Italien wird Arturo Toscanini erst neun Jahre später wieder dirigieren. Zur Wiedereröffnung der im Krieg zerstörten Mailänder Scala.


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