28. September 1857 Zar Alexander II. und Napoléon III. auf Cannstatter Volksfest
In der Regel treffen sich Staatschefs und gekrönte Häupter bei großen Banketten oder auf imposanten Bällen. Erhaben, elegant, durchaus mit Glanz und Glamour geht es da zu. Napoleon III., Zar Alexander und Wilhelm I., König von Württemberg aber verabreden sich auf dem Volksfest. Autor: Thomas Grasberger
28. September
Donnerstag, 28. September 2023
Autor(in): Thomas Grasberger
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Polit-Promis haben´s nicht leicht. Wo sie auch hinkommen, immer gafft das Volk. Eine gemütliche Mass im Bierzelt? Dazu ungestört ein halbes Hendl mit blanken Fingern? Vergiss es! Überall lauern Paparazzi, und die gemeinen Wähler tuscheln: "Hast ihn gesehen? Des is doch ... der Dings! Wie der des Brathendl ... Und wer wohl die Zeche fürs Freibier zahlt?"
Nein, Polit-Promis haben´s wirklich nicht leicht. Vor einigen Jahren musste sich sogar ein Ex-Bundespräsident vor Gericht verantworten, wegen Vorteilsnahme im Amt. Am Ende stand nur noch eine Oktoberfesteinladung im Raum - ein paar hundert Euro, die ja schnell mal zusammenkommen, bei den Wiesn-Preisen heutzutag.
Ein anderer Promi - ein in Bayern über die Maßen und Massen geschätzter Ministerpräsident - hat auf der Wiesn sogar seine allerletzte Mahlzeit zu sich genommen. Hendl, Schweinshaxen, ein, zwei Mass - na ja, was man halt so braucht, an einem Samstagvormittag. Danach ist der beleibte und beliebte Politiker vom Oktoberfest mit dem Hubschrauber direkt nach Regensburg geflogen, um an einer Hirschjagd teilzunehmen. (Der Hirsch hat überlebt, der Ministerpräsident nicht.) Kurz nach der Ankunft ist er zusammengebrochen, zwei Tage später war er tot.
Volksfest und Politik
Ein tragischer Fall, und trotzdem gehören Volksfest und Politik untrennbar zusammen. Auch wenn es nicht immer die ganz große Weltgeschichte ist, die im Bierdunst der Zelte geschrieben wird. Gelegentlich aber kommt sogar das vor. Am 28. September 1857 zum Beispiel. Da haben sich drei veritable Monarchen auf dem Cannstatter Wasen getroffen.
Man stelle sich vor: drei Mega-Promis beim schwäbischen Volksfest vor den Toren Stuttgarts! Als da waren: der Franzosen-Kaiser Napoleon III., der russische Zar Alexander und - als Gastgeber - der König von Württemberg, Wilhelm I.
Gekrönte Häupter am Biertisch
Eineinhalb Jahre zuvor hatte der Russe den Krimkrieg verloren, unter anderem gegen den Franzosen. Das heißt, verloren hatten natürlich in erster Linie die 450.000 russischen und 220.000 alliierten Soldaten - nämlich ihr Leben, auf den Schlachtfeldern der Krim. Die zwei hohen Herren hingegen waren putzmunter und überdies der Meinung, dass es Zeit sei, wieder mal miteinander zu reden. Als gemeinsamer Verwandter der beiden war König Wilhelm genau der richtige Vermittler. Ob´s recht wäre, fragte der Zar, dass man sich in Stuttgart treffe? Freilich, antwortete Onkel Willi: "Passt! Ich feiere eh grad meinen 76. Geburtstag und in Cannstatt ist Volksfest."
Also reisten die zwei Kaiser an, im Tross jede Menge Prinzen und Prinzessinnen, Diplomaten und Militärs. Abertausende von Schaulustigen waren auch da. Politisch aber kam bei dem Treffen wenig raus, nur der nächste Konflikt. Der Zar gab Napoleon grünes Licht, und der zog bald drauf in den Sardischen Krieg gegen Österreich. Das übliche Spiel namens Weltgeschichte halt. Viel gescheiter wär´s gewesen, die Herren hätten sich noch ein, zwei Mass im Bierzelt gegönnt. Und danach eine Zuckerwatte. Und geschossen hättens nur draußen am Schießstand! Ganz ohne Blutvergießen. Für Frieden und Freibier! Diese Zeche hätte der Untertan vermutlich gern gezahlt.