22. März 1974 Herabsetzung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre
Oma und Opa waren mit 21 volljährig geworden, Mama und Papa auch und nun auf einmal sollten die Kinder mit 18 schon erwachsen sein? Vielen älteren Semestern ging das zu flott, einige Stimmen in der Politik aber drängten darauf - und die Jugendlichen fanden es auch nicht verkehrt. Autorin: Susanne Hofmann
22. März
Mittwoch, 22. März 2023
Autor(in): Susanne Hofmann
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Was hat man nicht alles befürchtet! Jugendliche würden ihren Familien entrissen und dem Staat ausgeliefert; sogenannten Früh-Ehen könnte Tür und Tor geöffnet werden; es drohe die juristische und finanzielle Übervorteilung charakterlich unreifer junger Menschen. Und als wäre das alles nicht schlimm genug, warnten Zeitungen vor dem "neuen Recht zum ungebremsten Frühkonsum" - Sodom und Gomorra!
Zu jung, viel zu jung!
Doch trotz dieser Bedenken hat der Bundestag in Bonn es damals so beschlossen, am 22. März 1974. Sogar mit großer Mehrheit: Der zweite Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde geändert. Er lautet seitdem: "Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein." Die Parteien begründeten dies vor allem mit dem Wandel in der Gesellschaft: Die Jugend wollte und sollte mehr zu melden haben.
Auch die Wahl haben
Und so wurden Schlag Mitternacht mit Beginn des Jahres 1975 zweieinhalb Millionen Teenager erwachsen. Sprich - sie durften Alkohol und Zigaretten kaufen und sich endlich legal in Clubs vergnügen, ohne vor der Ausweiskontrolle ins Damenklo türmen zu müssen. Und außerdem natürlich: Kaufverträge abschließen, eine Wohnung mieten, ein Erbe antreten - und durchbringen, heiraten, von zuhause ausziehen, ja sogar auswandern und ins Parlament gewählt werden. Sie mussten für all das also nicht mehr auf ihren 21. Geburtstag warten, wie in den knapp 100 Jahren davor.
Übrigens: Nur die Westdeutschen waren gesetzliche Spätzünder. Jenseits der Mauer, in der DDR, galten 18-Jährige schon ein Vierteljahrhundert früher als mündige Bürger. Als Anerkennung des "hervorragenden Anteils der Jugend am Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung" - wie es im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik hieß. Ein Unding, empörte man sich im Westen. Die DDR-Jugend werde nur "am ideologisch-politischen Gängelband geführt". So etwas könne man sich in einer freiheitlichen Demokratie nicht vorstellen. Hier stelle man höhere Ansprüche an Reifegrad und Selbständigkeit der jungen Staatsbürger!
Lange stritten Sozialverbände, Kirchenkreise und Presse über das Für und Wider der neuen Altersgrenze. Es ging ja schließlich um eine revolutionäre Veränderung der familiären Ordnungsstruktur! Das Kalkül der handelnden Politiker war wohl vor allem: die rebellische junge Generation vom Protestieren abhalten und für sich zu gewinnen.
Und was passierte nach dem Dammbruch, also nach Einführung der Volljährigkeit mit 18? Eine Zeitung titelte: "Die 18-Jährigen stürmen in die Ehe!" Standesämter registrierten in den ersten Tagen des Jahres, dass zwei Drittel aller Brautpaare unter 21 Jahre alt waren. Aber sonst? Wenig Bemerkenswertes. Und heute hat man sich längst daran gewöhnt, dass Jugendliche mit dem 18. Geburtstag volljährig sind. Debattiert wird inzwischen eher: Ist das nicht zu spät? Schließlich kommen die Jugendlichen heute im Schnitt deutlich früher in die Pubertät als noch vor einer Generation. Und zumindest das Wahlrecht ab 16 würden manche Parteien lieber heute als morgen einführen. Sicher ganz ohne Hintergedanken!