1. März 1596 In Nürnberg beginnen die Bauarbeiten für die Fleischbrücke
Der Weg ist weit, aber rüber ans andere Ufer und das schnell wäre schon gut. Eine neue Verkehrsader soll Handel und Reiseverkehr im mittelalterlichen Nürnberg einfacher machen. Aber kann man wirklich eine Brücke konstruieren, die 27 Meter überspannt? Fast ohne Stützen? Autor: Simon Demmelhuber
01. März
Mittwoch, 01. März 2023
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Caroline Ebner
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Ein Fluss, ein Tal, ein Graben, der Weg bricht ab, schon stocken Handel und Wandel: Menschen, Fuhrwerke, Tiere kommen nicht weiter. Bis jemand eine Brücke baut. Das ist mühsam und teuer, macht sich aber bezahlt. Zum einen wegen der Maut, aber auch, weil eine Brücke allerhand Gewerke und Gewerbe nährt, die am Warenumlauf mitverdienen. Der Geldsegen, den solche Flussübergänge stiften, macht im Mittelalter aufstrebende Märkte und vor allem Städte entlang wichtiger Handelsrouten reich.
Über sieben Brücken
Auch das mächtige Nürnberg verdankt seinen Glanz einer Querung, die der nahen Schlachthöfe halber Fleischbrücke heißt. Sie steht, wo die Pegnitz am schmälsten ist und trägt mit dem städtischen Getümmel auch schwere Ochsenkarren und Reisewagen sicher über den Fluss. Aber das eingezwängte Wasser strömt hier derart schnell und stark, dass es die Pfeiler lockert und freispült. Überschwemmungen, Treibholz und Eis tun das Ihre. Keine der einander folgenden Fleischbrücken hält ewig, und so ist es 1595 wieder so weit: das Bauwerk droht einzustürzen, mit Ausbesserungen ist es nicht getan. Eine neue Brücke muss her, robuster, kühner, besser als alles, was je an dieser Stelle stand.
Neuer Brückenschlag
Kurz: Nürnberg braucht etwas, das es so weder gab noch gibt: eine flache Brücke, die sich pfeilerlos in einem Bogen über die Pegnitz streckt und damit jeder Unterspülung, jedem Eisgang und Hochwasser trotzt.
So ein freitragendes Wunderwerk haben die Venezianer einige Jahre zuvor am Canal Grande gebaut, möglich ist es also.
Nur ist der Ponte di Rialto viel zu steil und damit für schwere Fuhrwerke unpassierbar. Einfach nach Venedig fahren, die Brücke abkupfern und nachbauen wäre darum völlig sinnlos. Und da ist noch ein Problem: der weiche Nürnberger Baugrund gibt nach, die Fundamente müssten besonders tief und sicher gegründet sein. Auch dafür fehlen bewährte Verfahren.
Ist das alles wirklich machbar: 27 Meter, fast eben, ohne Stützen? Die Bedenken sind groß, das hat so noch niemand gebaut. Trotzdem geht der Rat die Sache an. Anderthalb Jahre lang sichten Baumeister Zeichnungen, studieren Pläne, untersuchen Holzmodelle, tauschen sich mit Kollegen aus, entwerfen und verwerfen. Schließlich ist alles bereit, und am 1. März 1596 beginnt ein Abenteuer, das 2400 Tonnen Stein, ganze Wälder, riesige Winden, Rammen, Laufkräne und unzählige Menschen in Bewegung setzt.
Zwei Jahre ist das Herz Nürnbergs eine lärmende Großbaustelle, dann ist die längste, modernste Steinbogenbrücke der deutschen Spätrenaissance fertig. Ende 1598 tritt sie ihren Dienst an, den sie trotz Hitze, Feuer, Frost, Überflutungen und Weltkriegsbomben bis heute erstaunlich rüstig erfüllt.
Klar, dass die Nürnberger auf ihre "Fleischbrück'n" stolz sind, selbst wenn sie nicht ganz so glamourös und imposant daherkommt, wie ihre berühmten Geschwister in San Francisco, New York oder Istanbul. Eher mehr so ein bisschen wie Aschenputtel, mausgrau, schmucklos, unscheinbar. Aber auch da steckt, wir wissen es alle, unter dem schlichten Kittel eine wunderschöne Königin.