Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. Juni 1900 Absprung verpasst: Luftschifferin Käthe Paulus verpatzt Auftritt

Sie war die erste deutsche Berufsluftschifferin, Luftakrobatin und außerdem die Erfinderin des zusammenlegbaren Fallschirms: Käthe Paulus. Aber auch bei den Stuntshows routinierter Profis läuft nicht immer alles ganz so wie geplant. Selbst bei Berufsluftschifferin Käthchen Paulus nicht. Autorin: Simon Demmelhuber

Stand: 03.06.2024 | Archiv

03.06.1900: Absprung verpasst: Luftschifferin Käthe Paulus verpatzt

03 Juni

Montag, 03. Juni 2024

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Frank Halbach

Ah, dieses wilde Prickeln! Dieses Bitzeln, wenn das Blut moussiert und die Nerven schrillen. O ja! In kleinen Dosen und voyeuristisch genossen, ist Angst eine echte Delikatesse. Erst rauscht Adrenalin, dann perlen Glückshormone. Der geile Cocktail knallt immer, auch beim Zuschauen: Voller Kitzel, null Risiko! Genau das macht den Mix so unwiderstehlich für Schausteller und Akrobaten, die mit halsbrecherischen Attraktionen und pulstreibenden Stuntshows belebende Angstlust servieren.

Primadonna der Luftmeere

Das Geschäft mit dem Schrecken auf Probe ist um 1900 ein nahrhafter Wachstumsmarkt. Und niemand beherrscht es geschickter als Fräulein Käthe Paulus. Sie ist ein Star der Kaiserzeit, eine bewunderte Luftakrobatin, die es mit zirkusbunten Ballonaufstiegen und gewagten Fallschirmsprüngen zu schillernder Berühmtheit bringt.
Und dieses Wunderfräulein, diese Primadonna der Luftmeere kommt nach München! Die Direktion des Nymphenburger Volksgartens hat sie für die Pfingstfeiertage gebucht, um im größten Vergnügungspark Deutschlands ihren europaweit geschätzten, schaurig-schönen Doppelabsturz zu zeigen. Wer die Paradenummer jemals gesehen hat, vergisst sie nie wieder: Die furchtlose Aeronautin lässt ihr Luftgefährt etliche hundert Meter steigen, erklimmt in schwindelnder Höhe den Rand des Ballonkorbs, wirft sich beherzt in die Tiefe, fällt, trudelt, stürzt, bis ihr Fallschirm aufgeht, der sich aber - oh Schreck! - sogleich wieder löst, worauf das Fräulein jetzt wie ein Stein erdwärts rast, bis ein zweiter Fallschirm erblüht, an dem die Gerettete sanft und blumenhaft zu Boden schwebt.

Geschwänztes Wagnis

Dass die Sache womöglich doch einmal schief geht, ist jedoch nicht ausgeschlossen. Und vielleicht ist das Volksgartengelände am 3. Juni 1900 darum schon nachmittags brechend voll. Alle wollen das Fräulein springen sehen. Kurz vor 19 Uhr hat das Warten ein Ende. Ein Tusch, die Luftschifferin durchschreitet im Matrosenkostüm die Zuschauergasse, entert den Korb, posiert auf dem Wulst, fasst mit einer Hand ins Takelwerk, lehnt sich weit vornüber, schwenkt grüßend die Mütze.
Dann ein Wink, die Halteseile fallen. Der rotweiß gestreifte Ballon steigt auf, steigt weiter, steigt höher, wird klein und kleiner, während ihm abertausend Hälse ins Leere folgen. Kein Absturz! Kein Sprung! Kein Fallschirm! Nur sinnloses Entschwinden, nur verstörender Ereignisentzug! Dass ein starker Ostwind den Ballon erfasst und westwärts treibt, wo Häuser, Straßen und Schienen den Absprung verbieten, dass Käthe Paulus erst in Aubing notlanden kann, ahnen weder die enttäuschten Zuschauer noch die Münchner Neusten Nachrichten.
"Fräulein Käthchen Paulus hat ihrem Ruf als kühne Aeronautin diesmal keine Ehre gemacht" pampt das Blatt am nächsten Tag: "Entgegen ihren Verpflichtungen machte die Dame nur eine Freifahrt, während das Interesse des Publikums doch allein auf den Absturz sich konzentrierte."
Pfui! So läuft das nicht, Fräuleinchen! Einfach das Wagnis geschwänzt! Blank den Kitzel verweigert! Wo wir uns doch so schrecklich gern gruseln, wenn andere Kopf und Kragen dafür riskieren.


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