2. Dezember 1877 Louis Paul Cailletet gelingt die Verflüssigung von Sauerstoff
Seine Erkenntnisse zur Verflüssigung des sogenannten „permanenten Gases“ Sauerstoff waren bahnbrechend: Der Physiker Louis Paul Cailletet. Den für gasförmig existent gehaltenen Sauerstoff brachte er unter hohem Druck und großer Abkühlung in seinem Labor am 2. Dezember 1877 erstmals zur Verflüssigung. Autor: Hellmuth Nordwig
02. Dezember
Montag, 02. Dezember 2024
Autor(in): Hellmuth Nordwig
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Frank Halbach
Manche wissenschaftliche Entdeckungen liegen so sehr in der Luft, dass sie an zwei Orten gleichzeitig gemacht werden. Wenn die beiden vermeintlichen Erfinder dann erfahren, dass sie gar nicht allein waren - dann geht fast immer eine hässliche Schlammschlacht darüber los, wer nun wirklich der erste war. Bei Louis Paul Cailletet war das anders, und er hatte das Glück, einen ebenso großzügigen Mitentdecker zu haben.
Fragen über Fragen
Mitte der 1850er-Jahre übernimmt Cailletet die Eisenhütte seines Vaters im Burgund. Besonders interessieren ihn die chemischen Vorgänge bei der Metallherstellung. Warum, zum Beispiel, entweicht aus einer Eisenschmelze Gas? Und welches könnte das sein? Mit solchen Fragen steht er im väterlichen Betrieb in der Provinz ziemlich alleine da. Aber er korrespondiert darüber mit dem Chemiker Henri Deville, einem Pariser Freund. Der hat jeden Sonntag einen Experimentiersalon und lädt Louis Paul Cailletet immer wieder in die Hauptstadt ein, um seine Versuche vorzuführen.
Deville ist es auch, der Cailletet für etwas Neues interessiert: Was machen Gase wie die aus dem Eisen, wenn man sie immer weiter zusammendrückt? Gase unter Druck sind damals sozusagen en vogue: Forscher verwenden dazu meist eine Apparatur, die funktioniert wie eine Luftpumpe, deren Öffnung verschlossen ist. Einer von ihnen ist Michael Faraday in London. Schon in den 1820er-Jahren entdeckt er, dass manche Gase bei höherem Druck flüssig werden, zum Beispiel Chlor. Andere widersetzen sich dieser Methode - Stickstoff und Sauerstoff bleiben Gase, auch unter Druck.
Nebel der Entdeckung
Fünfzig Jahre nach Faraday hat Cailletet deutlich bessere technische Möglichkeiten. Er beginnt Apparate zu konstruieren, mit denen man diesmal richtig Druck aufbauen kann: 300 Mal so viel wie der normale Luftdruck. Und mit denen dieser Druck ganz plötzlich wieder abgelassen werden kann. Dabei wird ein zusammengedrücktes Gas nämlich schlagartig kalt. Cailletet wiederholt diesen Vorgang viele Male hintereinander. So kann er zugleich mit dem hohen Druck eine immer tiefere Temperatur erzeugen. Und er schafft es tatsächlich, auch andere Gase zu verflüssigen. Am 2. Dezember 1877 sieht Louis Paul Cailletet dann einem dicken Glasröhrchen einen dichten Nebel: Tröpfchen aus flüssigem Sauerstoff.
"Ihnen teile ich als erstem mit, dass es mir heute gelungen ist, Sauerstoff zu verflüssigen", schreibt Cailletet am selben Tag an Deville. Der erkennt sofort die Bedeutung des Briefs aus dem Burgund und informiert die Akademie der Wissenschaften über Cailletets Entdeckung. Keine drei Wochen später trifft dort Post aus Genf ein: Der Schweizer Physiker Raoul Pictet meldet, ihm sei es gelungen, einen - Nebel aus flüssigem Sauerstoff zu erhalten. Ziemlich genau so wie Jean Louis Cailletet, wie sich herausstellt. Die zwei hatten einfach nichts voneinander gewusst.
Die beiden treffen sich und werden später sogar gute Freunde. Und am 24. Dezember tragen sie gemeinsam und ganz ohne Missgunst ihre bahnbrechende Forschung bei der Akademie vor - friedliche Weihnachtsstimmung ganz ohne Schlammschlacht.