12. Juni 2000 Millennium Bridge nach zwei Tagen wieder geschlossen
Erst wird sie nicht rechtzeitig zum neuen Jahrtausend fertig - dann muss sie nur zwei Tage nach der Eröffnung schon wieder geschlossen werden: die visionäre Londoner Millennium Bridge über die Themse. Ursache war ein Konstruktionsfehler. Die schwankende "Wobbly Bridge" muss versteift werden. Autorin: Prisca Straub
12. Juni
Montag, 12. Juni 2023
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Die neue Fußgängerbrücke zu Ehren des jungen Jahrtausends wird wegweisend sein: Kühne Linien, fließende Formen. Die Skizzen zeigen eine futuristische Konstruktion, scheinbar schwerelos aufgespannt über die Themse. Wie ein filigranes, langbeiniges Insekt mit seitlich abgespreizten Flügeln - zwischen Saint Paul’s Cathedral und der Tate Modern. Auf der Millennium Bridge werden keine Tragseile und keine Stützstreben den Blick auf Londons Skyline versperren. Über dem Kopf nichts als Möwengekreisch, unten zieht sanft der Fluss. ... Geplante Fertigstellung: pünktlich zur Jahrtausendwende.
Im Kostüm bis zur Abbruchkante
Dass der Termin zur offiziellen Eröffnung nicht eingehalten werden kann: - Well, höchst bedauerlich! Weltklasse-Architekt Sir Norman Foster und das renommierte Ingenieurbüro Arup knirschen verstört mit den Zähnen. Aus ihren Büros kommen für gewöhnlich stilbildende Impulse für den gesamten Globus. Doch nun im Frühjahr wird die Jahrtausendbrücke den Londonern nur symbolisch übergeben. Das Projekt ist noch immer im Rohbau. Der nördliche Brückenausleger: Er endet im Nichts. Trotzdem - Flaggen und Fanfaren. Bei den Feierlichkeiten schreitet die Queen im lavendelfarbenen Kostüm majestätisch nach vorn - bis hin zur Abbruchkante. Wirft einen frostigen Blick ins trübe Wasser. Und marschiert erhobenen Haupts retour. Die Fernsehbilder werden nicht gerade das, was man erhaben nennen würde.
Im Frühsommer nimmt die Millennium Bridge dann endgültig Gestalt an: viel Stahl und Aluminium, luftig und leichtfüßig. Am Tag der Eröffnung spazieren knapp 100.000 Menschen über das neue Wunderwerk. In Spitzenzeiten sind es 2.000 gleichzeitig.
Wackel-Debakel - Die Brücke schwingt mit
Dann beginnt das Debakel. Die Jahrtausendbrücke entfaltet ein geisterhaftes Eigenleben. Sie schlingert bedrohlich von einer Seite zur anderen. Beruhigt sich kurzeitig. Dann geht das Spektakel von Neuem los: ein unerklärliches Wibbeln und Wobbeln. Auf der gesamten Länge von über 300 Metern verfallen die Fußgänger in schweren Seemannsgang. Halten sich kreischend aneinander fest, um das Gleichgewicht zu halten. Stolpern wie beschwipste Enten von einer Geländerseite zur anderen. Der Weltklasse-Architekt und das renommierte Ingenieurbüro ringen fassungslos um Worte. Vergeblich: Am 12. Juni 2000 muss das Prestigeobjekt nach nur zwei Tagen wieder geschlossen werden.
Monate später konnte ermittelt werden: Ursache für die Pleite war eine Fehlkalkulation in der Statik. Ein Phänomen, das man bei diesem eigenwilligen Design nicht ausreichend bedacht hatte. Die Millennium Bridge reagiert auf die typisch menschliche Schrittfrequenz besonders sensibel. Und so reichen schon erstaunlich wenige Passanten, um die Brücke in erste Querschwingungen zu versetzen, die sich dann beständig weiter hochschaukeln.
War's das schon mit dem Aufbruch ins neue Jahrtausend? - Schließlich bekommt die Spitzenkonstruktion an die 100 Spezialdämpfer verpasst. Das Design hat dadurch nur minimal gelitten, der Stolz der Brückenbauer kolossal.