20. Mai 1515 Nashorn auf europäischem Boden
Als Beschenkter hätte man sich manches Geschenk so nicht ausgesucht. Als da plötzlich als diplomatisches Präsent ein Nashorn am Hafen von Lissabon anschippert – fragt sich der Beschenkte: Wohin damit? Autorin: Birgit Magiera
20. Mai
Mittwoch, 20. Mai 2020
Autor(in): Birgit Magiera
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Es war ein echtes Einhorn, das da am 20. Mai 1515 im Hafen von Lissabon an Bord eines Segelschiffes ankam. Fast vier Monate lang war das Einhorn um die halbe Welt gesegelt: vom indischen Goa aus, mit einem kurzen Zwischenstopp in Mozambique, um ganz Afrika herum, über die Azoren bis Portugal. Ein Geschenk für den portugiesischen König, Manuel I. Man kann sich vorstellen, wie sich die Menschenmenge am Ufer drängte, als das exotische Tier vom Schiff abgeladen wurde – samt Käfig und in Begleitung seines indischen Wärters.
Das ist es jetzt?!?!?!
Zwischen die bewundernden Aaahhs wird sich aber auch das ein oder andere enttäuschte Ohhh gemischt haben. Denn dieses echte Einhorn hatte so gar keine Ähnlichkeit mit den Abbildungen und Beschreibungen des sagenhaften Tieres. Es war zwar mächtig und stark, aber auch irgendwie plump und das Horn so kurz. So gar nicht das edle, strahlend-weiße Phantasiepferd mit dem schlanken Horn. Dem König gefiel das Tier trotzdem. In Indien lebte es unter der Bezeichnung "Ganda", wörtlich "riesig". Die korrekte Übersetzung lautet – Nashorn.
Das lebende Diplomaten-Geschenk, das da im Mai 1515 in Lissabon ankam, war seit der Antike das allererste Nashorn, das europäischen Boden betrat. Trotzdem hätten die Menschen im Hafen wissen können, was gleich aus dem Schiffsbauch kommen würde.
Schließlich hatte Marco Polo bereits erwähnt, dass er Einhörner gesehen habe. Und der war damals offenbar entsetzt über die plumpen Tiere. Er beschreibt ihren schweineartigen Kopf, die Füße ähnlich dem Elefanten und die borstigen Haare eines Büffels. Marco Polo hatte vermutlich Sumatra-Nashörner gesehen.
Nichts filigran und feingliedrig
Das Tier für den portugiesischen König war ein Panzernashorn. Das bis heute wohl berühmteste Nashorn, verewigt in Albrecht Dürers berühmtem Holzschnitt "Rhinocerus". König Manuel I. ließ es in seiner Menagerie unterbringen. Ein paar Monate später wurde der Koloss wieder auf ein Schiff verladen: Papst Leo X. sollte die wuchtige Kostbarkeit als Geschenk erhalten. Man wollte gut-Wetter-machen beim Papst. Schließlich hatte der bei der kolonialen Aufteilung Ostasiens ein gewichtiges Wort mitzureden. Also wurde das Nashorn wieder verschifft, diesmal üppig geschmückt: mit vergoldeter Kette und grünem Samtkragen mit Rosen bestickt. Rom und den Papst-Palast hat das Panzernashorn allerdings nie gesehen: an der italienischen Küste geriet das Segelschiff in einen Sturm und sank. Das Tier ertrank. Der Kadaver wurde an Land gespült, die Haut präpariert und doch noch nach Rom geschickt. Wohl weniger als respektables Diplomatengeschenk, sondern eher als verzweifelten Versuch, noch einen Rest von Eindruck zu schinden.
Albrecht Dürer hat das portugiesisch-indische Nashorn selbst übrigens nie gesehen. Sein berühmter Holzschnitt entstand nach fremden Skizzen eines Augenzeugen.
Danach sollte es mehr als 200 Jahre dauern, bis wieder ein Panzernashorn seine wuchtigen Füße auf europäischen Boden setzte: Clara kam im Frühling 1758 in Rotterdam an und tourte jahrelang erfolgreich durch ganz Europa.