15. Juni 1904 Erste Radiosendung der Welt: Otto Nußbaumer überträgt drahtlos Musik
Als Sohn eines Bahnhofvorstandes hatte Otto Nußbaumer schon früh mit Telegraphie zu tun. Wie wäre es nicht nur einzelne Signale, sondern Sprache, Stimme und Klang in Funksignale und wieder zurück zu verwandeln? Nußbaumer baut einen Apparat, der genau das kann. Und dann? Wird das Gerät vergessen. Autor: Simon Demmelhuber
15. Juni
Donnerstag, 15. Juni 2023
Autor(in): Simon Demmelhuber
Sprecher(in): Irina Wanka
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Otto Nußbaumer? Nie gehört? Eben! Da haben wir auch schon die ganze Misere! Der Mann war ein Pionier, ein echter Entdecker, ein Schrittmacher und Wegbereiter. Nur leider nicht rampentauglich, definitiv kein Scheinwerfertyp. Eher einer für die zweite oder dritte Reihe. Und trotzdem: Was ihm am Physikalischen Institut der Grazer Universität praktisch im Alleingang glückt, ist eine wahre Weltsensation. Wäre gewesen, muss man ja eigentlich sagen. Denn leider hat die Sache seinerzeit kaum jemand mitgekriegt. Dabei hat sie viel damit zu tun, was Sie da draußen und mich hier drinnen am Mikro gerade zusammenbringt.
Stimme und Klang im Äther
Und zwar deshalb, weil Otto Nußbaumer etwas gelang, das bis dahin noch niemand geschafft hatte: Die menschliche Stimme, Geräusche, Töne und Klänge drahtlos durch die Luft zu schicken. Das ist 1904 ein ungelöstes Problem, an dem Techniker und Physiker reihum erfolglos kauen. Zwar hatte Guglielmo Marconi bereits 1900 erstmals ein Morsesignal über den Ärmelkanal und im Jahr darauf sogar über den Atlantik gefunkt, aber eben nur ein einziges Zeichen.
Mehr geht nicht. Trotz aller Anstrengungen ist es noch immer nicht möglich, Stimmen und Klänge über den Äther zu schicken. Genau das aber hat sich Otto Nußbaumer vorgenommen. Und zum Glück sitzt er an der richtigen Stelle, um diese Aufgabe anzupacken. Als Assistent am Lehrstuhl des berühmten Physikprofessors Albert von Ettinghausen steht ihm das Schlaraffenland drahtloser Spitzentechnologie für eigene Experimente offen. Nußbaumer nützt seine Chance. Er schraubt, tüftelt, lötet zwei Jahre lang, verbessert die Sendeleistung, baut einen Empfänger, der die Funksignale in Sprache und Klang zurückverwandelt. Nun müsste es klappen.
Der (fast) vergessene Pionier
Dass es tatsächlich hinhaut, beweist der Ingenieur am 15. Juni 1904 im Physikalischen Institut der Grazer Universität. An diesem Tag scharen sich in einem Hörsaal ein paar Blechbläser und Sänger um eine äußerst seltsame Apparatur. Erst spielen die Musiker auf, dann gibt Nußbaumer das Dachsteinlied zum Besten. Dreißig Meter entfernt tönt das rustikale Potpourri klar und deutlich aus dem Gegengerät. Heureka! Die Ohrenzeugen applaudieren, auch Ettinghausen spart nicht mit Lob, moniert jedoch den Kunstwert des Dargebotenen: "Ihre Kiste funktioniert, lieber Nußbaumer, aber Ihr Gesang ist wirklich fürchterlich!"
Die Kiste funktioniert zweifellos, auch wenn der Erfinder selbst nie ganz versteht, wie und warum. Vielleicht erklärt das, warum sich der Konstrukteur nicht um ein Patent bemüht. Weil obendrein niemand die Entwicklung unterstützt, gibt er das Radiobasteln schließlich auf und begutachtet fortan Dampfkessel für das Landesbauamt in Salzburg.
Der verkannte Radiopionier stirbt 1930 an Tuberkulose. Im selben Jahr eröffnet Albert Einstein mit einer Radioansprache die Berliner Funkausstellung. In seiner Rede ruft das Physikgenie dazu auf, all jener zu gedenken, die uns das wunderbare Geschenk des Rundfunks machten. Da hat er absolut recht. Und deshalb, verehrter Otto Nußbaumer, feiern wir dich nachträglich ganz einfach heute bis zum Sendeschluss.