18. Dezember 1912 Piltdown-Fund unterwandert menschlichen Stammbaum
War der Piltdown-Mensch tatsächlich das lang gesuchte Bindeglied zwischen Mensch und Affe? So jedenfalls wurde sein Schädel der Fachwelt präsentiert. Erst Jahrzehnte später flog der Evolutions-Schwindel auf: Die Überreste waren zusammenmontiert aus einem Menschenschädel und dem Unterkiefer eines Orang-Utans. Autorin: Prisca Straub
18. Dezember
Mittwoch, 18. Dezember 2024
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Frank Halbach
Nie zuvor war der Vortragssaal der Geologischen Gesellschaft in London so voll gewesen. Zwar hatte Charles Dawson der Fachwelt schon etliche kuriose Fundstücke präsentiert. Doch das Objekt, das der ehrenamtliche Fossilien-Jäger am 18. Dezember 1912 enthüllte, war genau das, wonach die Fachwelt seit langem Ausschau gehalten hatte: die Fragmente eines Urmenschen-Schädels. Überreste eines bisher unentdeckten menschlichen Vorfahrens - eines Mischwesens! Mit einem überraschend voluminösen Schädel und - einem affenähnlichen Unterkiefer!
Sensationsfund für die Frühmenschen-Forschung
Die Einzelteile des sogenannten Piltdown-Schädels - benannt nach seinem Fundort, einer Kiesgrube im Südosten Englands - hatte Dawson über die vergangenen Jahre offenbar geduldig zusammengetragen. "Zufallsfunde…" - mal in Begleitung befreundeter Fach-Kollegen, mal allein: hier das Scheitelbein, dort ein Stück der oberen Augenhöhle, zwei Bruchstücke aus dem Bereich der Nase, ein abgenutzter Eckzahn. - Die bräunlich verfärbten Fragmente fügten sich erstaunlich gut ineinander, so wie - prähistorische Puzzleteile. Wenn auch ausgerechnet das wichtigste Stück fehlte: das Verbindungsgelenk zwischen dem affenartigen Unterkiefer und der markanten Schädelkalotte eines modernen Menschen.
Trotzdem: Der Fund aus Piltdown wird zur Weltsensation. Und von der britischen Wissenschaftscommunity zum sogenannten "Missing Link" erhoben - einer entwicklungsgeschichtlichen Übergangsform. Direkt an der Schwelle unserer Menschenaffen-ähnlichen Vorfahren hin zum Homo sapiens.
Der angeblich rund 500.000 Jahre alte Piltdown-Schädel schien den entscheidenden Schritt der menschlichen Evolutionsgeschichte zu veranschaulichen.
Schädel und Kiefer passen nicht zusammen
Doch das Gegenteil war der Fall. Der Piltdown-Mensch sträubte sich in den folgenden Jahren jedem Versuch einer wissenschaftlichen Einordnung. Er passte sogar immer weniger zu anderen Überresten von Frühmenschen, die nach und nach in Europa auftauchten. Der Schädel wurde mehr und mehr zum Außenseiter. Bis er über 40 Jahre später - als Fälschung entlarvt wurde: eine clevere Montage aus einem mittelalterlichen Menschenschädel und dem Unterkiefer eines Orang-Utans! - Auf alt getrimmt, mit passgenau zurechtgefeilten Zähnen.
Als der Betrug endlich aufflog, war Charles Dawson, der Hobby-Archäologe, längst gestorben. Und bis heute ist offen, wer an der Fälschung alles beteiligt war. Denn Dawson war mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht allein am Werk gewesen. Die Liste der Verdächtigen ist lang.
Fossile Übergangsformen, mögliche "Missing Links" zwischen Ur-Affe und Ur-Mensch, haben für die Evolutionsbiologie übrigens längst an Brisanz verloren. Denn inzwischen weiß man: Die Entwicklungslinie hin zum Homo sapiens ist verwirrend vielfältig und voller Umwege und Sackgassen. Eines belegt die Piltdown-Fälschung aber trotzdem, wenn auch ungewollt: Die Wiege der Menschheit liegt offenbar nicht in England.