9. März 1895 Leopold von Sacher-Masoch gestorben
In seinen Büchern kräuselte sich noch das Achselhaar der Damen, und die Herren liebten die Peitsche, die sie nicht selber schwangen. Als Leopold von Sacher-Masoch am 9. März 1895 starb, standen seine Phantasien für einen neuen Begriff: den Masochismus.
Jede Epoche erfindet ihre eigene Intonation der Empfindsamkeit, ihre eigene Koloratur der Leidenschaften. Bevorzugt sind hier gedehnte Vokale im Spiel: während Heinrich von Kleist auf ein retardierendes "Oh" setzte, entschied sich Fontane für hohe, aspirierte "Ah"-Laute, die den eng geschnürten Miedern der Offiziersgattinnen geschuldet waren, bei Marquise de Sade konkurrieren kehlige "Ach"s mit genüsslichen "Och"-Lauten und schließlich dominieren bei Leopold von Sacher-Masoch derbe, grobkörnige Frauenstimmen, deren Timbre auf ausreichenden Tabak- und Alkoholkonsum zurückgeht.
Auch Olgas "tiefe" Stimme tendiert in diese Richtung - sie wurde allerdings noch mit dem Zusatz "weich" versehen. Olga ist die Hauptfigur aus Sacher-Masochs Novelle "Mondnacht", eine Frau, die die Welt meist durch halbgeschlossene Lider sah und noch zu Sätzen fähig war wie: "Küssen Sie, ich erlaube es Ihnen!" Man kann sich heute, rund einhundertfünfzig Jahre später, angesichts der gewandelten Körperästhetik kaum noch vorstellen, wie sich ihr Achselhaar kräuselte, als sie am Fenster lehnte, "die Arme im Nacken verschlungen", wie es heißt. Olga ist eine jener Figuren, wie man sie zuletzt bei Doktor Schiwago gesehen hat: Im Winter fährt sie gerne Schlitten, trägt dabei schwere Pelze und weiß, wie man sich über die Maßen amüsiert. Ihr Haar wird als "wollüstig" beschrieben, und sie versteht sich auf die Inszenierung des großen Gefühls. "Die Somnambule" - wie Sacher-Masoch sie in einem Brief nennt - "Die Somnambule ist vollkommen nach der Natur gezeichnet, jeder Zug ihrer Geschichte ist wahr und erlebt." Selten hat sich ein Autor so klar zum Naturalismus, oder besser, zu einer Engführung von Kunst und Leben bekannt wie er. Die Geschichte endet bei Vollmond: Olga hat Migräne und irgendjemand empfiehlt ihr gegen diese Unpässlichkeit saure Gurken.
Zurück zu den Vokalen: Olgas und Wandas Stimmbandschluss haben gewiss eine ähnliche Choreografie. Wanda, die Protagonistin aus Sacher-Masochs Roman "Venus im Pelz", ist außerdem geübt im Peitschenschwung und weiß, wie man nackte Männer vor offenem Kamin niederknien lässt. Severin küsst ihr dabei auch gerne die Füße und lässt die Zunge zwischen ihre Zehen gleiten. Im Gegensatz zu Olga, deren Pelz nie genauer definiert wird, trägt Wandas Haarmantel einen "Hermelinbesatz". Die Wahl des Tiers ist gewiss nicht willkürlich, denn das Kurzschwanzwiesel aus der Familie der Marder, das vor allem in subarktischen Zonen lebt, ist für sein seidig schimmerndes, besonders hochwertiges Haar bekannt. Außerdem töten Hermeline ihre Beute durch einen Biss in den Hinterkopf, aber das nur nebenbei. Wanda trägt also bevorzugt Hermelin, räkelt sich damit gerne auf einer Ottomane oder einem Fauteuil und kreuzt dabei - wie Olga - lasziv die Arme im Nacken.
Wer hätte gedacht, dass Olgas und Wandas Gefährten einmal für Protagonisten einer bestimmten nervlichen Reizung oder einer erotischen Überspreizung gehalten werden könnten. "Masochismus" nannte dies der Psychiater Richard von Krafft-Ebing. Er verwendete in seiner Schrift "Psychopathia sexualis" erstmals diesen Begriff, wobei er sich an den Namen Sacher-Masochs hielt, der wenige Jahre später starb, am 9. März 1895. Der Nervenexperte meinte damit die Seelenkonstitution aller Severins und Wladimirs. Zu welchen Lustkoloraturen diese fähig waren, ist leider weder bei Sacher-Masoch noch bei Krafft-Ebing überliefert.