Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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3. November 1989 Sprecher der Aktuellen Kamera entschuldigt sich bei Zuschauern des DDR-Fernsehens

Parteipolitische Sichtweisen weitertragen, aber bloß keine kritische Berichterstattung, so gängeln Regime ihre Medien. In der DDR war es nicht anders. Was die Journalistinnen und Journalisten der Aktuellen Kamera berichten durften und sollten, bestimmte nicht die Redaktionskonferenz, sondern weitgehend die SED. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 03.11.2022 | Archiv

03.11.1989: Sprecher der Aktuellen Kamera entschuldigt sich bei Zuschauern des DDR-Fernsehens

03 November

Donnerstag, 03. November 2022

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Dezember 1976, ein Tag vor dem 4. Advent. Um 19 Uhr 30 beginnt die Aktuelle Kamera, die Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, mit Bildern vom Flughafen Zürich. Einer Boeing 707 der Lufthansa, die in Chile gestartet war, entsteigen mehrere Passagiere. Sie verschwinden in einer schwarzen Limousine und werden zu der 300 Meter entfernt geparkten Maschine der Aeroflot gebracht. Wenig später hebt der Flieger ab, Richtung Moskau. An Bord: Luis Corvalàn!

Es ist eine Sensation: der Chef der kommunistischen Partei Chiles ist nach 3-jähriger Haft im Gefängnis des faschistischen Pinochet-Regimes wieder frei. Proteste hunderttausender Menschen in den sozialistischen Ländern haben ihn freigekämpft - behauptet die Aktuelle Kamera.

Faktencheck via Westfernsehen

Rund 80 Prozent der DDR-Bürger können Westfernsehen empfangen. Viele nutzen diese Möglichkeit zum Faktencheck, Punkt 20 Uhr schalten sie um: zur Tagesschau. An diesem Samstag erfahren sie in der ARD die Wahrheit hinter der Meldung der Aktuellen Kamera. Proteste gegen Corvalàns Haft gab es nicht nur aus den Ostblockstaaten, auch von Amnesty International und den Kirchen. Und, die Freilassung ist ein Austausch: Luis Corvalàn gegen Wladimir Bukowski. Da die UdSSR stets behauptet, in ihrem Reich gäbe es keine politischen Gefangenen, wird der Deal verschwiegen. Der seit 12 Jahren inhaftierte russische Regimekritiker kommt in den DDR-Nachrichten nicht vor. 

Wie Presse und Rundfunk wird auch das Fernsehen von der Partei gesteuert. Die Abteilung Agitation der SED legt fest, worüber die Aktuelle Kamera berichtet, und worüber nicht.

Als im Sommer 1989 tausende DDR-Bürger ihre Heimat verlassen, über die BRD-Botschaft in Prag und über die geöffnete Grenze zwischen Ungarn und Österreich, müssen die heimischen Medien zu dem Thema schweigen. Nicht nur die Bevölkerung ist darüber empört, auch in den Redaktionen von Presse und Fernsehen wächst der Unmut über die greise Führungsriege des Landes. Mitte Oktober wird Honecker entmachtet. Egon Krenz, der neue Staatschef, kündigt eine Wende in Partei und Gesellschaft an.

Sternstunde des DDR-Fernsehens

Am 3. November 1989 beginnt um 22 Uhr eine Sternstunde des DDR-Fernsehens. Der Sprecher der Aktuellen Kamera entschuldigt sich im Namen der Redaktion bei den Zuschauern, dass man jahrelang dirigistische Eingriffe durch die SED zugelassen habe. Dies betreffe nicht nur die Nachrichten, sondern das gesamte Fernsehprogramm. Man verspricht, durch objektive und kritische Berichterstattung am Prozess der Wende mitzuwirken.

Die Fernsehleute halten Wort: Die Aktuelle Kamera mutiert zur spannenden Nachrichtensendung mit unzensierten Berichten aus einem Land im Umbruch. Dümpelte die Einschaltquote bisher um die 10, klettert sie in kürzester Zeit auf 50 %. So bleibt es bis zum Ende der A K im Dezember 1990. Neue Nachrichtenformate, die folgten, hießen einfach nur noch Aktuell.

Regimetreue Medien gibt es immer noch auf der Welt. Ob sich die wohl auch eines Tages bei ihren Zuschauern entschuldigen werden?


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