9. Juli 1989 Steffi Graf gewinnt wieder Wimbledon
Sie hat der Tenniswelt gezeigt, wohin der Ball rollt. Dabei hat Steffi Graf nie groß geredet über ihren Erfolg. Wiewohl, das wichtigste hat sie gesagt: "Das ist eine Superleistung von mir". Autorin: Susi Weichselbaumer
09. Juli
Donnerstag, 09. Juli 2020
Autor(in): Susi Weichselbaumer
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Die Ratgeberliteratur lehrt: Männer sind unter anderem deshalb eher Filialleiter, schneller Projektchefs, flotter Intendanten, weil sie sich lautstärker selbst vermarkten. Sprich wo der Mann sich hinstellt: Sieh her, Welt, ich habe dies erfolgreich vollbracht - entschuldigt sich die Frau: Das war Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort. Eigentlich wollte ich das gar nicht und natürlich ist es sicher auch ganz bestimmt sowieso also jetzt nicht irgendwie perfekt … Ergo rät der Ratgeber: Frau, lobe Dich genauso selbst und zwar vor Publikum.
Man finde Vorbilder. Weibliche.
Probieren kann man es ja mal. Vorbilder gibt es. Aufgemerkt, Zitat: "Dass ich da heute noch einmal durch kam, nachdem ich schon 6:3 und 4:2 hinten gelegen habe und das Spiel noch rumgedreht habe, also das ist eine Superleistung von mir gewesen", so beantwortet Steffi Graf eine Reporterfrage nach ihrem ersten Wimbledonsieg. Sie ist gerade 19 Jahre alt. Sicher reden viele seit Langem vom Wunderkind und Ausnahmetennistalent. Doch richtig vorne in der Weltrangliste mischt die geborene Mannheimerin erst seit einigen Monaten mit. Dass sie da schon das bedeutendste Turnier der Tenniswelt gewinnt? Noch dazu gegen eine Topfavoritin wie Martina Navratilova, die eigentlich fest mit ihrem neunten Wimbledontriumpf gerechnet hatte?
Ich! Super.
Große Leistung der Deutschen und ein kleiner glücklicher Netzroller am Ende, der ihr den entscheidenden Punkt bringt. Für den sie sich nicht entschuldigt. Auch keine Silbe in Sachen Glück und zur rechten Zeit am rechten Ort. "Also das ist eine Superleistung von mir", erfährt der Sportreporter. Viel mehr gibt Steffi Graf nicht preis. Ausführliche Gespräche mit der Presse meidet sie. Macht nichts, die kurze Botschaft ist angekommen. Diese Frau hat Selbstbewusstsein.
Und das stellt sie unter Beweis, gleich im Jahr darauf, wieder im Tennis-Mekka Wimbledon. Am 9. Juli 1989 schallen die magischen Worte über den Center Court: "Game, Set, Match, Graf". Nochmal ist Navratilova im Finale geschlagen.
Keine drei Stunden später steht auch der Gewinner bei den Männern fest: Boris Becker. Das ist ein Tag fürs Geschichtsbuch, jubeln die Medien.
King Boris und Queen Steffi schreiten das Spalier der Fans ab, Arm in Arm, links der Silberteller, rechts der Goldpokal. Glorreiche Vergleiche der Journalisten lassen sie gerne zu, etwa mit den Sensationserfolgen eines Max Schmeling oder dem Wunder von Bern. Glückwunschtelegramme von Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Kanzler Helmut Kohl nimmt man selbstverständlich lächelnd entgegen.
Lobe dich selbst und das vor Publikum - womit wir wieder bei der Ratgeberliteratur wären. Und bestätigt sehen, es ist ganz gleich, ob Frau oder Mann: Wer der Welt zeigt, sieh her, ich bin erfolgreich, wird als Siegertyp und Führungsperson wahrgenommen. Kleine Unebenheiten in der idealen Erfolgsstory sind dabei marginal. Dass Steffi Graf kurz nach dem Matchball gegen Navratilova auf dem Platz vor lauter Anspannung in Tränen ausbricht, ist vergessen. Schwamm drüber. Respektive kein Wort darüber verloren.
Aber Achtung, je weiter der Erfolg über den man spricht zurückliegt, desto weniger wiegt er auf. Dass Steffi Graf später inflationär Werbung für alles macht von der Nudel über den Teebeutel zum Deostick, kratzt an ihrem Heldinnenimage. Und der aktuelle Idolfaktor von Boris Becker - ach, manchmal ist Schweigen Gold.