31. Mai 1926 Der Philosoph Theodor Lessing wird bedroht
Er eckte schnell an in rechtsradikalen Kreisen. Zum Beispiel, wenn er den deutschen "Ersatzkaiser" Hindenburg ein schlichtes Gemüt nannte. Am 31. Mai 1926 bedrohten völkische Studenten in Hannover ihren jüdischen Philosophie-Dozenten Theodor Lessing.
31. Mai
Dienstag, 31. Mai 2011, 09:50 Uhr
Autor: Christian Feldmann
Sprecher: Johannes Hitzelberger
Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung
Am 31. Mai 1926 ist in der Technischen Hochschule Hannover die Hölle los: 700 völkisch gesinnte Korpsstudenten haben das Hauptportal und das Treppenhaus besetzt. Sie sind mit Holzprügeln bewaffnet und skandieren antisemitische Parolen. Als sich der Privatdozent Theodor Lessing - linksliberaler Philosoph und dazu noch Jude - zeigt, steigert sich das Gebrüll zum Organ. Lessings Frau Ada wird von dem Mob eingekreist und bedroht, ihr Gatte kann sich ins Rektorat retten, während draußen die Menge schreit: "Juden raus!"
"Das Wild ist zur Strecke gebracht."
Der Volkswille
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art; wenige Wochen zuvor ist Lessing von völkischen Studenten eine Stunde lang durch die Straßen gejagt worden. Ein "Kampfausschuss", dem auch Professoren angehören, fordert seit einem Jahr, ihm den Lehrauftrag zu entziehen. Anfang Juni werden 1.500 Korpsstudenten mit der Abwanderung an die Technische Universität Braunschweig drohen, wenn Lessing weiter in Hannover lehren darf. Obwohl der preußische Kultusminister das Kesseltreiben missbilligt und mit der Schließung der Hannoveraner Hochschule droht, wenn es weiter zu Störungen kommt, wird Lessings Lehrauftrag in einen Forschungsauftrag umgewandelt, seine Vorlesungstätigkeit ist zu Ende. Der linke "Volkswille" schreibt sarkastisch: "Das Wild ist zur Strecke gebracht. Die Jäger können Halali blasen."
Was hatte dieser Lessing verbrochen? Erstens, wie schon gesagt, war er Jude, und das reichte in jener aufgeheizten Atmosphäre, jemandem die Ausübung eines öffentlichen Amtes zu verwehren. Zweitens hatte er sich im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl mit einem Zeitungsaufsatz über den Kandidaten der nationalen Rechten, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, unbeliebt gemacht. Wagte er es doch, dem allseits hochverehrten "Sieger von Tannenberg" ein einfaches Gemüt und, so wörtlich, "Gradlinigkeit ohne Geistigkeit" zu attestieren. Hindenburg werde ein Spielzeug in den Händen anderer sein, nicht mehr als ein repräsentatives Symbol. Womit Lessing leider komplett Recht hatte, aber so etwas durfte kein Zeitungsschmierer über den Ersatzkaiser aller Deutschen sagen und ein Jude schon gar nicht. "Nehmen Sie doch den Kerl und schlagen Sie ihm eins über den Schädel!" hieß es offen in rechtsradikalen Kreisen.
Beim Massenmörderprozess
Lessings dritter und schlimmster Fehltritt hängt mit dem Massenmörder Fritz Haarmann zusammen. Als dem 1924 in Hannover der Prozess gemacht wurde, saß Lessing im Gerichtssaal; als Privatdozent war er auf ein Zubrot als Zeitungskorrespondent angewiesen. Längst hatte er sich einen Ruf als glänzender Feuilletonist geschaffen. Lessing besaß die Unverschämtheit, nicht nur das Triebleben der Bestie Haarmann - mindestens 24 jugendliche Stricher soll er umgebracht haben - psychologisch beleuchten und verstehen zu wollen. Er deckte auch die blamable Rolle der Behörden auf, die den Serientäter Haarmann als Polizeispitzel beschäftigt und die Ermittlungen jahrelang verschleppt hatten. Wutschäumend schloss der Gerichtsvorsitzende Lessing nach elf Tagen von der Verhandlung aus: "Wir können im Gerichtssaal keinen Herren dulden, der Psychologie treibt!"
1933 floh Lessing vor den Nazis nach Prag, später nach Marienbad. In Deutschland setzte man eine "Fangprämie" von 80.000 Reichsmark auf den linken Pazifisten aus, worauf die tschechischen Behörden die Pension, in der Lessing lebte, unter Bewachung stellten. Trotzdem schafften es zwei böhmische Nazis, auf eine Leiter zu klettern und Lessing in seinem Arbeitszimmer durch das Fenster zu erschießen. "Nun ist auch dieser unselige Spuk weggewischt", freute sich die "Niederdeutsche Zeitung" in Hannover.