11. Februar 1933 Thomas Manns Vortragsreise über Richard Wagner dauert länger
Eigentlich wollte Thomas Mann 1933 nicht so lange auf Vortragsreise ins Ausland gehen. Doch ein Haftbefehl der Nazis zwang ihn dazu. Autorin: Katharina Hübel
11. Februar
Donnerstag, 11. Februar 2021
Autor(in): Katharina Hübel
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Sie gehen auf Dienstreise. Was nehmen Sie mit? Möglichst leichtes Gepäck. Vielleicht ein Köfferchen mit dem Nötigsten, Ihrem besten Kleidungsstück, Ihrem – sagen wir – Vortragsmanuskript. In jedem Fall: Das Smartphone. Speicher wichtiger Kontakte, Tor zum Wissen der Welt, Orientierungshilfe. Portal zu Ihrer Cloud mit den persönlichen Dokumenten. Zugang zu Ihrem Bankkonto. Kurzum – der Schlüssel zu so vielem, wenn Sie nicht gerade das Ladekabel zu Hause haben liegen lassen. Kann nicht mehr viel schief gehen – sollte etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen. Wie zum Beispiel: Ein Haftbefehl gegen Sie. Beschlagnahme Ihres Hauses und Eigentums. Ihre Ausbürgerung. Und aus dem Rotary-Club sind Sie auch noch rausgeflogen.
One-Way-Ticket
So oder so ähnlich erging es Thomas Mann im April 1933, als er gerade im Ausland weilte. Nur, ganz ohne Smartphone. Exil über Nacht. Und da stand er nun mit seinem besten Anzug und dem Richard-Wagner-Vortragsmanuskript. Frau Katia war auch mit dabei, als er am 11. Februar 1933 zu einer Vortragsreise nach Amsterdam, Brüssel und Paris aufgebrochen war. Von ihrem One-Way-Ticket ahnten die Manns da noch nichts. Sie sollten aber nie wieder in ihre Münchner Villa an der Isar zurückkehren. Manns Wagner-Vortrag, in dem er "Leiden und Größe" des deutschen Komponisten zum 50. Todestag ausbreitete – war für die Nazis ein willkommener Anlass für einen Haftbefehl. Thomas Mann war schon länger nicht genehm. Weil er politisch vor den Nazis warnte. In seinem Vortrag über Richard Wagner war das zwar kein Thema. Aber Wagner war von den Nazis ideologisch aufgeladen – und kam bei Thomas Mann nicht nur gut weg. "Liebhaberei für bürgerliche Eleganz" und "Neigung zur Ausartung" sind schon recht harte Worte. Vor allem, da Thomas Mann selbst Luxus durchaus zu schätzen wusste, sogar im Exil. 1929 den Nobelpreis für Literatur gewonnen, nahm er sich nicht gerade die billigsten Bleiben: Villa unter Palmen in Südfrankreich, auch in Los Angeles: standesgemäß untergebracht, schließlich Blick auf den Zürichsee…
Lange Dienstreise
Thomas Mann konnte viel von seinem Vermögen in die Schweiz bringen, dank seiner Helferinnen wie die Nürnberger Buchhändlerin Ida Herz. Sie riskierte viel – und sorgte dafür, dass ein Großteil seiner Bibliothek, sowie Silber, Porzellan und Schallplatten zu ihm ins Exil gelangten. Tochter Erika brach sogar ins beschlagnahmte Münchner Elternhaus ein und beschaffte das wertvolle Josephs-Manuskript wieder. Für Thomas Mann war seine Dienstreise 1933 insofern ein Glücksfall, als dass der Haftbefehl der Nazis nie vollstreckt werden konnte. Er war zwar mit allen Annehmlichkeiten versorgt – aber fern der Heimat und in Sorge um sie. Thomas Manns Vortragsreise dauerte so unvorhergesehener Weise etwas länger. 1933 aufgebrochen, kehrte er erst 1949 nach Deutschland zurück, aber nur noch als Gast. 1955 stirbt Thomas Mann in der Schweiz – einen tschecheslowakischen und US-amerikanischen Pass in der Schublade.