14. Juni 2008 Deutschlands erste automatische U-Bahn geht Betrieb
Ein echtes Pionierstück: Nürnbergs automatische U-Bahn. Dank eines Computersystems können die Züge der U2 und U3 im 100-Sekunden-Takt fahren - und damit doppelt so häufig wie bei manueller Steuerung. Züge, Strecken und Stellwerke wurden miteinander vernetzt: Fahren, Anhalten, Türöffnen - alles voll automatisch. Autor: Hellmuth Nordwig
14. Juni
Freitag, 14. Juni 2024
Autor(in): Hellmuth Nordwig
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Thomas Morawetz
Die Nürnberger Nachrichten wussten es als erste: Die fahrerlose Tram kommt, und zwar bei uns! 1966 war das - und die Zeitung gab sich sicher: Wir schaffen das schneller als die Hamburger, die schon seit 1960 daran tüfteln. Doch die Technik war noch nicht soweit. Die Meldung war einfach ein Aprilscherz.
"Bidde zurückdreden"
Aber wie immer, wenn jemand in den April geschickt werden soll: Völlig aus der Luft gegriffen war die Geschichte nicht. Nürnberg ist zu Recht stolz auf die erste Eisenbahnstrecke in Deutschland, die von 1835 an die Stadt mit Fürth verband. Eine weitere Innovation auf der Schiene war 1938 eine Unterpflasterstraßenbahn - um eine Sichtachse zur neu errichteten SS-Kaserne möglich zu machen, auf Wunsch des sogenannten Führers. Dessen Größenwahn führte ein paar Jahre später zur weitgehenden Zerstörung Nürnbergs. Und was die Bomben nicht schafften, das erledigte der Umbau zur autogerechten Stadt. Jetzt waren Autofahrer die Herren im Verkehr, aber bestimmt nicht die von Straßenbahnen, deren Arbeit immer mehr in Stress ausartete. Fahrerlose Bahnen auf eigenen Trassen hätten 1966 durchaus ein Teil der Lösung sein können.
Aber die Stadt ließ sich etwas anderes einfallen. Ein paar Monate vor dem Aprilscherz in der Zeitung hatte der Stadtrat beschlossen, eine U-Bahn zu bauen. So etwas gab es in Deutschland bis dahin nur in Berlin und Hamburg; München hatte gerade mit dem Bau begonnen. Da durfte Nürnberg natürlich nicht hintanstehen. Und auch wenn es offiziell kein Wettbewerb war: München weihte seine erste Linie nur wenige Wochen früher ein, als Nürnberg seine U1. Von 1972 an hieß es: "Bidde zurück-dreden!"
Schnupperfahrt mit KUSS
Mitte der 80-er Jahre folgte eine zweite Linie. Bei der dritten gab es aber ein Problem: Ein Teil der Strecke war identisch mit der U2. Es war abzusehen, dass die Züge dort sehr rasch aufeinander folgen müssen, damit der Verkehr im Untergrund nicht genauso holprig läuft wie oben auf der Straße. Nur wie? Die Lösung schaute sich Nürnberg in anderen Städten ab, etwa Kobe in Japan oder Lille in Frankreich: Sie hatten autonom fahrende U-Bahnen in Betrieb genommen. Fahrerlos, aus der Ferne in dichter Folge automatisch gesteuert dank einer ausgeklügelten Signal- und Sicherheitstechnik.
Als hätten es die Nürnberger Nachrichten geahnt, ging am 14. Juni 2008 die U3 ganz ohne Fahrer in Betrieb, zum ersten Mal in Deutschland. Vorausgegangen waren "Schnupperfahrten", bei denen Mitarbeitende des Kunden- und Systemservice, kurz KUSS, an Bord waren. Sie klärten zum Beispiel darüber auf, dass bei den neuen Zügen Piepstöne und ein rotes Blinklicht an den Türen so viel bedeuten wie "Bidde zurückdreden". Anfangs war es eine Herausforderung, dass die U2 im selben Abschnitt noch handgesteuert war. Inzwischen fährt auch diese Linie voll automatisch - und wer nicht aus Nürnberg ist, für den ist eine U-Bahn-Fahrt mit einer der beiden Linien immer noch ein kleines Abenteuer.