27. Februar 1866 Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts gegründet
Unverheiratete Frauen aus dem Bürgertum hatten im 19. Jahrhundert wenige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt angemessen zu verdienen - außer als Lehrerin oder Gouvernante. 1866 wurde der Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts gegründet, um weitere Berufsfelder für Frauen zu erschließen. Autor: Justina Schreiber
27. Februar
Dienstag, 27. Februar 2024
Autor(in): Justina Schreiber
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Frank Halbach
"Arbeit" scheint heute etwas in Verruf geraten zu sein. Idealerweise findet sie eher nebenbei statt. Doch wer räumt eigentlich nach der Party die Pizzakartons weg? Wer bringt das Essen überhaupt erst ins Haus? Wer erledigt den ganzen Kram, der zur Aufrechterhaltung von Lebensfunktionen notwendig ist? Nun ja, es sind eben Andere. Reinigungskräfte, Lieferdienstboten und Fastfoodhersteller sorgen dafür, dass der privilegierte moderne Mensch öfters mal die Füße hochlegen kann.
Die Bestimmung des Weibes
In der guten alten Zeit, als es noch hierarchisch geordnete Geschlechterverhältnisse und keine Staubsauger oder Waschmaschinen gab, hatten viele Männer eine Hausfrau in petto, die ihnen den Rücken freihielt. Wobei es die Frauen damals angeblich sogar glücklich gemacht haben soll, dieses "ewige Gehen und Kommen, (…) Heben und Tragen, Bereiten und Schaffen für Andre" - wie Goethe in seinem Epos "Hermann und Dorothea" die aus Männersicht praktische Bestimmung des Weibes auf den Punkt brachte. Was für ein Wolkenkuckucksheim! Schließlich geisterte seit der französischen Revolution die Idee herum, dass alle Menschen gleich seien! So schwach verkabelt konnte das schwache Geschlecht gar nicht sein, dass es die Unterdrückung nicht erkannte! Aber wie entkamen Frauen dem goldenen Käfig? Mit dem Lobpreis der kostenlos schuftenden Gattin ging ja die Diskriminierung alternativer Lebensmodelle einher. Unverheiratete "Fräuleins", die sich ihr Geld selbst verdienten, galten als sauertöpfische Jungfern. Witwen bezogen oft Armenfürsorge. Wie ließ sich die finanzielle Abhängigkeit vom Manne überwinden? Beziehungsweise: wie ließ sich die spießbürgerliche Gesellschaft von Grund auf verändern? Frauen hatten in der Öffentlichkeit die Klappe zu halten.
Gegen die "wilde" Emanzipation
Insofern war das, was dann am 27. Februar 1866 in Berlin passierte, nur logisch, wenn auch - aus heutiger Sicht - ziemlich komisch. An diesem historischen Datum gründeten nämlich 300 aufrechte preußische Männer einen "Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts". Sie sägten tatsächlich eigenhändig an dem Ast, auf dem sie selbst zu Hause Beine baumelnd saßen!!! Oder diktierte ihnen etwa die wachsende Industrie, wo es in Zukunft langgehen musste? Die 300 Gründerväter bezogen jedenfalls vorsorglich klar Stellung gegen eine (Zitat!) "wilde, sich gleichmäßig über alle Lebensgebiete erstreckende Emanzipation des Weibes". Doch wie schnell wird die Bedeutung von Lohnarbeit unterschätzt. Der Verein unter Leitung des Juristen Wilhelm Adolf Lette trug wesentlich dazu bei, dass sich der gesellschaftliche Status und damit auch das Selbstbewusstsein erwerbstätiger Frauen verbesserten. Der sogenannte Lette-Verein entwickelte neue Berufsbilder und bot Kurse für Turnlehrerinnen oder Zahntechnikerinnen an. Nicht jede höhere Tochter fühlte sich zur Harfenistin berufen. Warum nicht Porzellanmalerin oder Stenographin werden? Von den künstlichen Blumen bis zum künstlichen Gebiss: im Herbst 1870 zeigte der preußische Männer-Verein mit einer Frauen-Industrieausstellung dann einem breiten Publikum, wozu das Weib im Grunde fähig ist. Die parallel entstehende Frauenbewegung griff den Faden gerne auf. Also, Hut ab, meine Herren!